100
„Gibt es wohl eine undankbarere Aufgabe als eine Sache zu vertreten, die nur dem Scheine nach besteht? Gibt es wohl ein unsichereres Gefühl, als in erster Linie Speer und Schild zu tragen mit dem Bewußtsein, nur von einem körperlosen Schatten steh gefolgt zu sehen? Gibt es eine mißlichere Stellung als einem Vereine als Organ zu dienen, der in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist? — Gewiß nicht. Und ist unsre Lage zur Zeit eine andere? Auch diese Frage müssen wir kategorisch verneinen, angesichts der Thatsache, daß ein Verein von tausend Mitgliedern in einer Generalversammlung, der wichtige Fragen vorlagen, durch verh. geringe Theilnahme vertreten ist."
Die „Concordia" bemerkt hierzu:
„Genau ebenso geht es aber anderen Blättern ahnlicher Richtung, sobald es sich nicht um ganz bestimmte, möglichst einseitige Interessen einer Partei, eines einzelnen Fachs oder Gewerks handelt, fondern um allgemeinere sachliche Ziele, dann stellt sich bald heraus, daß vorn wohl Trommler, hinten aber keine Soldaten sind, kurz, allem Anschein nach wird die von der Socialdemokratie drohende Gefahr erst noch ein gutes Theil augenfälliger, greifbarer werden müssen, ehe unsre gebildeten und besitzenden Klassen anfangen, sich um diese Dinge ernsthaft zu bekümmern."
Nun, wenn weiter nichts fehlt, als ein Nochvielschlimmerwerden, so wird wird uns bald geholfen sein. Denn keiner Prophetengabe bedarf es, um vorauszusehen, daß mit Eintritt einer nur etwas günstigern Geschäftslage, die wir Alle doch erhoffen, eine Menge frisch gesammelter, diesen Augenblick noch latenter Kräfte der Socialdemokratie sich in einer Weise entbinden werden, die viele blinde Augen öffnen und viele schielende gerade richten wird.--
Der Abg. L. Bamberger, Einer der Wenigen, die seit Jahren der Sache rege Aufmerksamkeit widmen, sagt in der obengenannten Wochenschrift „Der Fortschritt", unter Bezugnahme auf die letzten Reichstagsverhandlungen, daß „offenbar eine Verlangsamung im Zuwachsen der socialdemokratischen Partei eingetreten und eigentlich äußerlich kein Anlaß gewesen" sei, gerade jetzt mehr Vorkehrungen gegen die Bedrohung zu treffen, und fährt fort: „Nichtsdestoweniger sollen wir Alle uns den Staatsmännern zu Dank verpflichtet fühlen, die im Reichstage diese Frage wieder ausgeworfen und sie von Neuem zu einer brennenden gemacht haben. Denn daß die Agitation fortwährend an der Arbeit ist, . . . das sollten wir durchaus nicht ignoriren; deswegen ist es auch angezeigt, daß wir uns recht klar unsrer Lage gegenüber dieser neuerungssüchtigen Secte bewußt werden."
Referent glaubt eben darin, daß die Propaganda selbst unter jetzigen Zeitumständen nicht scheinbare Rückschritte, sondern sehr sichtbare, wenn auch langsamere Fortschritte macht, einen weit schlagenderen Beweis für ihre Expansivkraft sehen zu müssen, als in dem raschen Wachsthum während der Gründerperiode. Auch unter den ländlichen Arbeitern, dem bisherigen Malakoff des Widerstands, ist es nachweislich der Agitation schon gelungen, Fuß zu fassen. Oder sollen wir vielleicht noch warten, bis auch im Heere, Landwehr und Linie, die Bewegung greifbar wird, ehe wir die Frage als eine brennende betrachten?! —
Die beklagte Geringfügigkeit des Absatzes von volkswirthschaftlichen Schriften, wissenschaftlichen und populären, kann übrigens mit nichte« für ein