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Vom deutschen Reichstag.
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Dom deutschen Keichstag.

Berlin, den 29. November 1874.

Die fünfzehnte Sitzung des Reichstags am 21. November war unge­wöhnlich reich an interessanten Zwischenfällen. Die bedeutungsvollen Aeuße­rungen nämlich, welche aus mehr als Einem gewichtigen Munde, auch aus dem gewichtigsten, der im Reichstag spricht, nach ganz verschiedenen Rich­tungen fielen, kamen mehr oder weniger gelegentlich zum Borschein und nicht durch den gebotenen Zusammenhang der Debatte. Insofern waren es Zwischenfälle.

Nach einer unbedeutenden Interpellation eines Mitgliedes aus den neuen Neichslanden über die Behandlung zweier Franzosen, verfocht der Abgeord­nete Hasselmann den Sonnemann'schen Antrag der Antragsteller schien abwesend zu sein auf Unterbrechung des gegen zwei social-demokratische Mitglieder eingeleiteten Strafverfahrens während der Sesfionsdauer. Der Reichstag erhob einer constanten Gewohnheit gemäß den Antrag zum Beschluß.

Nun folgte ein ähnlicher und doch sehr verschiedener Antrag des Abge­ordneten Liebknecht. Der Antragsteller verlangte die Unterbrechung der Straf­haft für drei verurtheilte Reichstagsmitglieder aus der social-demokratischen Partei. Die Reichsverfassung schreibt bekanntlich im dritten Absatz des Ar­tikel 31 vor, daß jedes Strafverfahren gegen ein Reichstagsmitglied, jede Untersuchungs- und jede Civilhaft gegen ein solches für die Dauer der Ses­sion auf Wunsch des Reichstags aufgehoben werden muß. Ausgeschlossen aber ist, wie man sieht, die Strafhaft von denjenigen gerichtlichen Freiheits- Beschränkungen, welche der Reichstag für die Dauer seiner eignen Arbeiten von seinen Mitgliedern nehmen kann. Der Liebknecht'sche Antrag konnte und sollte also nur darauf gerichtet sein, daß der Reichstag den Reichskanzler er­suchen möge, auf die Beurlaubung der verurtheilten Abgeordneten hinzuwirken. Unseres Erachtens ist die Reichsregierung gar nicht eompetent, einen Verur­theilten. der eine Strafhaft verbüßt,, ihrerseits aus dem Gefängniß zu beur­lauben. Hierzu kann, wenn überhaupt Jemand, höchstens das Gericht eom­petent sein. Was aber nicht innerhalb der Competenz der Reichsregierung liegt, dazu kann auch niemand eompetent sein, dieselbe aufzufordern. Unseres Erach­tens hätte die Vorfrage gestellt werden müssen, ob der Liebknecht'sche Antrag verhandlungsfähig sei. Wir können es sonst erleben, daß der Herr Abgeordnete beantragt, der Reichstag möge die Revolution decretiren, oder einen ähnlichen Cynismus. Denn auf anderes ist hierbei nicht abgesehen, als durch cynische Beleidigungen in Nachahmung der Rolle Marat's den Reichstag aufzuhalten, in seinen Arbeiten zu stören und herabzuwürdigen. Daß er Marat mit Erfolg nach'