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mehr ästhetisch und sozusagen dramatisch als sachlich interessirt und beschäftigt. Es ist daher nicht ohne Grund, daß das Werk auch ungleich mehr den Antheil der künstlerischen Fachgenossen als der Kirche und überhaupt der religiösen Empfindung gewonnen hat. Ist es doch gewissermaßen eine andere Symphonie Beethovens mit den erhabensten Bildervorwürfen. die nur je die Sätze einer Symphonie gehabt haben und dazu mit der Beihülfe des schönsten Instrumentes, das existirt, des Chors von Menschenstimmen, gewissermaßen eine mächtige Chorphantasie über den christlichen Messentext!
Dabei aber, um auch diese Folge der Sachlage sogleich zu berühren, hemmt ihn nun in dem freien Ausdruck seiner Empfindung und Anschauung doch stets wieder ganz ebenso wie einst in der Oper Fidelio eben dieser Text selbst, das Wort, das unberührt stehen und deutlich ausgesprochen sein muß. So wird das Ganze trotz aller innig persönlichen Antheilnahme und allem ernstsrohen Aufwand des besten Könnens, im eigentlichsten Sinne eine Arbeit, und man spürt wie beim Fidelio die Mühe des Erschaffens, sieht die Nähte und das Gemachte. Wie denn auch die Aufnahme der hergebrachten Anschauung hier jene besondere Schreibart, den sog. polyphonen oder strengen Styl mit sich brachte, der allerdings der Natur des Gegenstandes entspricht, allein die freie Empfindung, die mit unserer innerlich erschlossener?« Zeit auch Beethoven theilt und die ihm überall die schönsten Weisen des persönlichen Ausdrucks lieh, gerade bei diesem erhabensten Stoff am meisten in ihrer Aeußerung hemmt! Die „bessere Kunstvereinigung," die Beethoven hier und wohl hier am energischsten sucht, führt ihn dabei nicht viel weiter. Allerdings, er will der Sache ihr hergebracht unpersönliches Wesen nehmen und auch in dieser Welt des Ewigen das freie schöne Antlitz menschlicher Persönlichkeit zeigen. Allein gerade an den schönsten Stellen finden wir ihn in diesem Bestreben am merklichsten und wohl für ihn schmerzlichsten selbst gehemmt. Ttefergreifende Einzelnheiten hat das Werk, ja ungeheure, nie gesehene Momente, die uns mit der ganzen Wirkung der echt künstlerischen Intuition erschüttert in unser Inneres werfen. Und das Schuster- und Schneidergesicht der landläufigen Messencomposition war durch das Thun dieses Genius natürlich für immer aus der wahren Kunst hinweggetilgt. Denn natürlich wenn ein solcher Geist vier volle Jahre sich plagt und selbst am Ende, wenn auch sicher nur schmerzlich nothgedrungen „bravo sagt," wie sollten da die deutschen Spuren seines Schauens in die Räthsel unserer Existenz fehlen? Und diese Momente mögen ihm selbst Ruhe und Erquickung in der langen Zeit der Arbeit an dem Werke gewesen sein. Arbeit aber, wenn auch zugleich fruchtbarste Vorarbeit zu einem mehr Wahren und Ganzen in der Kunst, dessen Keime damals schon lebendig genug vorlagen, zur „Neun-