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erster Linie aus der Schlüpfrigkeit des Textes und der Handlung zu erklären, erst in zweiter Linie aus dem Interesse an der Musik. Was die letztere betrifft, so ist sie relativ eine Wendung zum Bessern. An die Stelle der blasirten Frivolität, der rafsinirten Liederlichkeit, hie und da sogar der platten Gemeinheit, welche sich in den Offenbachiaden breit macht, ist hier melodiöse Gemüthlichkeit und harmlosere Komik getreten. Mit einem Wort: war Offenbach der Musikant des zweiten Kaiserreichs, so ist Lecoq der Musikant der konservativen Republik. Das Libretto der Mamsell Angot giebt denjenigen der Offenbach'schen Opern freilich nichts nach; aber wenn bei Offenbach Text und Musik sich vollkommen deckten, so würde die Lecoq'sche Musik ebensogut wie zu dem anzüglichen, zu einem viel harmloseren Libretto passen. An Originalität steht Lecoq allerdings bedeutend hinter Offenbach zurück. Der italienische und der deutsche Einfluß liegt in jedem Satze auf der Hand; aber wir sehen doch wenigstens nicht mehr jenes mit schlauester Berechnung und widerlichem Behagen ausgeführte Attentat auf die Sittlichkeit der Kunst. Daß sich auch in dem Texte dieser komischen Opern demnächst ein ähnlicher moralischer Umschwung vollziehen werde, ist bei dem in der französischen Hauptstadt herrschenden Geiste schwerlich zu erwarten.
Um übrigens auf das Weihnachtsfest zurückzukommen, so sollte es nicht ungestört zu Ende gehen. Am Freitag Nachmittag durcheilte die Stadt die Kunde von einer Mordthat, wie sie frecher in Berlin noch nicht verübt worden ist. In einer der belebtesten Straßen und noch dazu in einem der belebtesten Häuser derselben war ein Cigarrenhändler tödtlich verwundet und ausgeraubt worden, ohne daß es gelang, der Thäter habhaft zu werden. Mit vollem Recht wird die Gesellschaft bei solcher Kunde mit Grauen erfüllt. Man fragt sich, wo und wann man denn überhaupt noch sicher ist. Die vorvorige Woche hatte allein drei Raubmorde zu verzeichnen, mit stufenmäßig steigender Frechheit, bis die That vom 26. Dezember Allem die Krone aufsetzte. Rathlos steht man vor der Frage, wie dieser unerhörten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit abzuwehren sei; die Polizei ist machtlos, wo es sich um solche Vorgänge im Innern der Häuser und Familien handelt, wo die Thäter nicht leicht erkennbare Vagabunden, sondern äußerlich makellose Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind. Was bleibt noch sicher, wenn der bis dahin unverdächtige Arbeiter den friedlichen, ihm gänzlich fremden Bürger um seiner mühsamen Ersparniß willen erschlägt? Und leider sind gerade solche Fälle in jüngster Zeit mehrfach vorgekommen. Die nach jedem großen Kriege gemachte Erfahrung, daß die Achtung vor dem Leben Anderer tief zu sinken Pflegt, ist offenbar auch uns nicht erspart geblieben. Zum mindesten hat die Rohheit aus dem Kriegsleben eine furchtbare Nahrung gezogen. Dazu kommt die durch das Steigen der Arbeitslöhne nur immer