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Die renitenten Geistlichen in Hessen. I.
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Ueberordnung über den Staat. Während nun den Ultramontanen eine Be­gründung dieser Auffassung insofern niemals besondere Schwierigkeiten berei­tete, als ihnen der Mittelpunkt, um welchen sich, ohne Rücksicht auf staat­liche Interessen, Alles zu drehen habe, der römische Bischof, durch lange ge­schichtliche Entwicklung gegeben war, kam für Vilmar's Nachahmungslehre Alles darauf an, einen ähnlichen Punkt außerhalb der Staats­grenzen ausfindig zu machen. Der archimedische Punkt ist ihm kurzer Hand Christus. Dieser selbst mußte die Kirche, für welche in Hessen die hierarchischen Bestrebungen in Anspruch genommen werden sollten, beson­ders gegründet haben, ja er mußte als fortwährender Leiter derselben und ihrer Verfassung aufgestellt werden. Ein Stellvertreter Christi, wie ihn die katholische Kirche hat, ließ sich beim besten Willen nicht schaffen. Thatsächlich versah Mlmar selbst eine Zeitlang gewissermaßen die Rolle eines Papstes in Hessen; es war dies eben jene Zeit, als er mit Hassenpflug das durch die Strafbaiern niedergetretene Land beherrschte. Abgesehen hiervon, mußte jeder Geistliche Vilmar'scher Richtung selbst zusehen, wie weit er der letztern Geltung zu schaffen vermochte. So sah sich jeder dieser Pastore da­rauf angewiesen, nach Kräften gleichsam Papst zu spielen. Und das ist, was diesen geistlichen Herren so ausnehmend gefällt, dessen Erhaltung ihre ängstlichste Sorge ist, um dessen Willen sie gegen Zeitereignisse, Zeitgeist, Vernunftgründe und die einfachste Logik blind und gegenwärtig so obstinat sind, um dessen willen, noch im Sept. d. I. einer der Renitenten sich öffent­lich bereit erklärt hat, sich sogargliedweise zu Tode martern zu lassen". Mit jener Aufstellung Christi erschien die Quelle der hierarchischen Bestrebungen staatlichen Einwendungen noch weiter entrückt als bei der römischen Kirche; diese war gewissermaßen übertroffen. Daher ein auffallendes, unverhältniß- mäßiges. dogmatisch selbst bei den Anfängern dieser Richtung nicht begrün­detes Verherrlichen Christi unter Zurücksetzung Gottes zu den bezeichnend­sten Eigenthümlichkeiten der Vilmaraner gehört. Gott ist von denselben, wie ein einfacher Mann einst einem ihrer Häupter gegenüber vorwurfsvoll sich ausdrückte, auf die Leibzucht gesetzt. Christus mußte, ohne Vermittlung eines Stellvertretcrs, dazu dienen, die Unnahbarkeit und staatliche Unantast­barkeit des Pfarramtes zu begründen.Das Pfarramt", lehrte Vilmar 1853 als Superintendentur-Verweser von der Kanzel der Martinskirche zu Kassel,ist die lebendige und leibhaftige Fortsetzung des Amtes unseres aller- heiligsten Erlösers, also, daß dasselbe alle Thaten, welche Er vollbracht, aus seiner Kraft fortführt und wiederholt," während Luther gesagt hatte:Das Amt in Gottes Wort ist allen Christen gemein; was ist denn das Amt des sonderlichen und äußerlichen Priesterthums? Ist es nicht: die Tugend ver­kündigen?"