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Otto Gumprecht: Richard Wagner und sein Bühnenschauspiel "Der Ring des Nibelungen".
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Buchform übergehen, so mag es leicht kommen, daß uns dieselbe Ein­seitigkeit der Auffassung stört, die wir im Tageblatt in der Ordnung finden.

Otto Gumprecht dringt sehr darauf, daß bei musikalischen Vorführungen aller Art die Productionen der Gegenwart zum Gehör kommen sollen. Aber ebenso unermüdlich führt er aus, warum diese Production ihren epigonen­haften Character nicht überwinden kann. Wäre es denn nicht besser, die Epigonen am Eingang abzuweisen, damit sie nicht zu Anstrengungen ermun­tert werden, die doch vergeblich bleiben müssen?

Gumprecht ist ein standhafter Gegner Richard Wagner's. Die vielen unhaltbaren, ja widerwärtigen Seiten, die Wagner's Auftreten bietet, schenkt der Kritiker dem prätendirten Reformator nirgend. Geht der Erstere aber nicht doch zu weit, wenn er Wagner's ganzes Streben aus der nach Neuem mühe­selig suchenden Reflexion ableitet? Sollte diesem Streben gar kein wahrhafter Jnstinct zu Grunde liegen, gar keine Intuitiv» gewahrter künstlerischer Mög­lichkeiten zu deren Verwirklichung der Entdecker nur bisher nicht die richtigen Mittel gefunden? Soll das musikalische Drama immer unvollständig bleiben oder unorganisch, wie es in den bisherigen Gestalten der Oper erscheint? Sollte es nicht möglich sein, alle Motive einer dramatischen Dichtung in dem natürlichen Verhältniß ihrer gegenseitigen poetischen Bedeutung mit den ver­schiedenartigen Mitteln der Musik zu verkörpern, und als Grundlage der mu­sikalischen Verkörperung dem Drama eine wahrhaft poetische Sprache zu geben? Wir haben diese Möglichkeit bei Besprechung der Wagner'schen Nibelungen in diesen Blättern kürzlich erwogen. Wir wollen hier ergänzend bemerken, daß uns fraglich scheint, ob für ein solches musikalisches Drama der rechte Ort des Wirkens die Bühne ist. oder ob dieses Drama vielmehr die Gestalt eines weltlichen Oratoriums anzunehmen hat; wie ja Hän­del's biblische Oratorien zum großen Theil nationale Heldendramen sind, auf dem Boden der jüdischen Geschichte zwar spielend, in ihrer Charakteristik aber eine nationale Individualität von tiefem humanem Inhalt schildernd.

Gumprecht urtheilt über Wagner's Dichtung vomRing des Nibelungen" sehr streng und in der Hauptsache abfällig. Die eigne poetische Begabung des Kritikers bringt ihn aber dazu, einzelne Züge der Dichtung fast wider Willen in dem ihnen eigenen Lichte der Poesie erscheinen zu lassen. Im Ganzen kommt bei der Nacherzählung des Dramas von Scene zu Scene der Zu­sammenhang der Motive nicht zum deutlichen Verständniß. Die epitoma- torische Darstellung hat ihre eigenen Gesetze. Abgesehen davon, daß bei Ver­nachlässigung derselben der Inhalt von Wagner's Dichtung nur schwer correct wiedergegeben werden könnte, hat sich Gumprecht auch einzelne starke Flüchtig­keiten zu Schulden kommen lassen. Wenn das am grünen Holze geschieht.