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Unpolitische Briefe aus Berlin : die Kunstausstellung.
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19!»

volle Grauen und der himmlische Glanz jener von der Sage erweckten Phan- tafiebilder? Die Nacht muß uns umfangen, wenn der himmlische Glanz uns mit überirdischem Reiz berühren soll. Solche Wirkungen bringt die Malerei höchstens bei skizzenhafter Andeutung hervor, wenn sie auf den ihr eigentlich zukommenden Triumph der deutlichen Ausführung verzichtet.

In das Kapitel der Verwechselung poetischer und malerischer Erregung der Phantasie gehören auch die unserer Zeit eigenthümlichen Bilder mit lyrisch novellistischen Stoffen. Eine Braut am Hochzeitsmorgen, je nachdem sie glück­strahlend oder ernst gehalten ist, kann dem Beschauer sehr viel zu denken geben, weil man ihr zutraut, daß sie selbst viel zu denken hat. Aber sehen kann man diese Gedanken nicht, es ist eigentlich eine Gefälligkeit von dem Beschauer, wenn er sie dem Bilde zutraut. Aber eine Periode, die vielleicht schon am Aufhören ist, nahm solche Anregungen dankbar auf, bei denen es der Maler nicht zu schwer hatte. Das beste Bild der Art auf der jetzigen Ausstellung nennt sich: Erinnerung an die Villa Borghese. Es zeigt einen jungen Geistlichen im rothen Priesterkleid auf einer Gartenbank, dem das Gebetbuch auf die Erde gefallen, während der Hut neben ihm auf der Bank liegt, in selbstvergessener Haltung, während in der Ferne ein junges Paar lustwandelt. Ueber die Beziehung dieser drei Personen kann man nun Allerlei denken. Man fühlt sich aber doch nur dazu aufgelegt, weil die Gestalt des jungen Priesters überaus anziehend geglückt ist. Das lustwandelnde Paar könnte interessanter sein.

Landschafts- und Sittenbilder giebt es wieder die Menge und sehr vieles Anziehende darunter. Aber die Landschastsbilder, die alle Heimlichkeiten der Natur, alle zur Versenkung einladenden Momente belauschen und fest­halten, man hätte sie gern eines oder das andere im eigenen Zimmer und würde sich daran erlaben. In der Menge eilt man daran vorüber, wenn man nicht aus besonderer Absicht verweilt.' Es ist wie mit den Sonaten und Liedern zwischen den großen musikalischen Formen. Im weiten Raum unter einer großen Zuschauermenge kann man dergleichen nicht genießen, oder man muß sich künstlich isoliren und stimmen.

Das Sittenbild ist der beliebteste Gemäldestoff unserer Zeit geworden. Aber nicht Jedermann hat den besonders lebhaften Geschmack dafür, mag er damit auch zu den Ausnahmen, vielleicht zu den Sonderlingen zählen. Jeden­falls erfordern auch diese Bilder ihre eigene Stimmung und ihre eigene Um­gebung. Wenn die Empfänglichkeit für wahrhaft Bedeutendes eben Nahrung gefunden, wäre es auch nur durch halbvollendete Intentionen, ist man für die kleine Tragik und für den kleinen Humor nicht aufgelegt.

Es verdient bemerkt zu werden, daß nach den beiden großen Knegöjahren so wenig Schlachtenbilder erschienen sind. Aber so großartig der moderne Krieg 'st, so wenig malerisch ist die moderne Kampfesform. Sie gestattet dem Maler nur die episodische Darstellung. Die Darstellung einer ganzen Schlacht mittelst eines einzelnen Momentes erfordert Hülfsmittel und Eingebungen des Genius, die sich nicht oft finden können. Bleibtreu hat eine solche Eingebung gehabt bei seinem ausgezeichneten Bilde der Schlacht von Königgrätz, indem er die Feldherrngruppe in vornehmer äußerer Ruhe bei tiefer geistiger Spannung vergegenwärtigte, das weite Schlachtfeld mit den vom Pulverdampf verhüllten Massen ohne Jndividualisirung der Kämpfergruppen andeutete. Der Character des letzten großartigen Kampfes wird gewiß noch in bedeutungsvollen Epi­soden malerisch ergriffen werden. Aber die Zeit für so etwas kann nicht so­gleich kommen, die Eindrücke wollen geklärt und überwältigt, die malerischen Mittel und Möglichkeiten erwogen und ausgereift sein.