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zu sagen. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, daß alle übrigen deutschen und außerdeutschen Staaten in diesem Falle eine Ausnahme von der Regel gemacht hätten: daß man das Gute hernimmt wo man es findet, selbst aus Sachsen; und daß wahrscheinlich nicht die übermäßigen Vorzüge dieses Gesetzes daran schuld sind, daß sich selbst Altenburg und Reuß Jüngere Linie kühl bis an's Herz hinan gegen dessen Neception gezeigt haben. — Wie hat es nun aber seinen ..partikularen Zweck" erfüllt? Der Herr Minister von Friesen, der indessen, als nicht im Justizfach thätig, in diesem Falle nur das Ansehen eines Zeugen von Hörensagen beanspruchen kann, sagt uns, „das Land sei zufrieden mit seinem eoclo civil." Nun, wenn man diese Zufriedenheit bereits im Jahre 1865 auf Flaschen gezogen hätte, als das Gesetzbuch in Kraft trat, also eine praktische Erfahrung noch gar nicht vorhanden sein konnte, man würde damals, unserer festen Ueberzeugung nach, dieselbe Quantität Zufriedenheit, eher noch mehr erhalten haben, als heute. Aber damals wäre wenigstens eine Verwechslung der Etikette nicht möglich gewesen. Das bürgerliche Gesetzbuch bezeichnet, als Codifica ti o neinen Fortschritt gegen früher, wo der sächsische Jurist sein Landescivilrecht über fünf Jahrhunderte zerstreut, ja bis zu den Patriarchen des römischen Rechtes hinauf zu suchen hatte. Aber das ist der einzige Vorzug, über welchen EinVerständniß herrschte. Alle übrigen Vorzüge desselben wollen wir milde als streitige bezeichnen. Die Symptome dieser Vorzüge äußern sich in bändereichen jährlichen Sammlungen von immer neuen Controversen, die das Gesetzbuch erzeugt, und in einer liebenswürdigen Mannigfaltigkeit der Auslegung derselben Gesetzes- Paragraphen Seiten der Unter- und Mittelgerichte und des höchsten Gerichtshofs. Nur die Reichsgesetzgebung hat uns außerdem befreit von gewissen Vorschriften dieses Coder über die Nichtigkeit von Ehen zwischen Christen und Juden und den Ehebruchsprvceß, die nicht viel weniger als eine Schmach für unser Jahrhundert waren.
Aber was soll auch die ganze Glorisicirung unseres Civilgesetzbuches gegen die Nothwendigkeit der Einheit der Reichseivilgesetzgebung beweisen? Wäre unser Gesetzbuch noch so vortrefflich, was frommt es dem lebendigen Rechtsverkehr unseres Landes mit dem ganzen übrigen Deutschland, den taufenden und aber taufenden von Rechtsgeschäften, welche wir Sachsen jeden Tag mit den verschiedensten Theilen Deutschlands knüpfen? Genügt zur Aufrechterhaltung einer einheitlichen Rechtsordnung unter allen diesen mannigfaltigsten Interessen etwa das deutsche Handels- und Wechselrecht? Lassen sich die Rechtsfolgen der deutschen Freizügigkeit, Reichsangehörigkeit, Verehelichungs- freiheit. Gewerbefreiheit u. f. w. durch eine bei jedem Landesschlagbaume verschiedene Civilgesetzgebung ordnen? — Doch wozu eine Nothwendigkeit rechtfertigen, die überall außer bei den Regierungen Sachsens. Bayerns und Schwabens anerkannt ist? Das hieße, namentlich nach der Rede Laskers und Schwarze's im Reichstage, Eulen nach Athen tragen. Ebenso ist aus denselben Quellen eine genügende Schilderung der krausen Verwirrung zu ersehen, welche entstehen müßte, wenn es den drei Mittelstaaten wirklich gelänge, die Rechtseinheit dilatorisch zu behandeln, und dennoch der Reichsverfassu'ng gemäß ein deutsches Obligationenrecht, eine deutsche Civilproceßordnung und Gerichtsordnung in Kraft träte!
Nicht wir sind es übrigens, welche diese wichtige Frage vom Zweckmäßigkeitsstandpunkte aus behandeln, sondern die Negierung selbst. Der Standpunkt der Regierung wäre ungleich klarer gewesen, wenn sie einfach erklärt hätte, das Reich sei' absolut inkompetent, sie zur Rechtseinheit zu drängen,