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Siege der nationalen Kräfte in der Regierung Kenntniß erhalten und sich zurückgezogen hatten, so bedarf es keiner weiteren Bemerkung darüber, auf wie schwachen Füßen die dermalige Majorität der Ständekammer beruht, und daß es nur eines kleinen Anstoßes von Außen bedürfte, um im geeigneten Zeitpunkt eine ultramontan-particularistische Majorität sich entpuppen zu sehen.
Als charakteristisch für die neueste Situation heben wir übrigens noch hervor, daß kürzlich der langjährige Vorkämpfer der großdeutschen Politik, der Gras Rechberg „aus Gesundheitsrücksichten" seine Stelle als Präsident der Kammer der Standesherrn niedergelegt hat. Bei der Ernennung des Nachfolgers, welche ohne Vorschlagsrecht der Kammer dem Könige zusteht, fiel es auf, daß abweichend von der bisherigen Gewohnheit, der Senior des Hohenlohe'schen Gesammthauses übergangen wurde. Man wollte plötzlich in seiner Eigenschaft als vormaliger russischer General ein Hinderniß gefunden haben; der wahre Grund liegt aber in der nationalen Haltung der Fürsten von Hvhenlohe, insbesondere auch des vorgenannten Chefs des Gesammthauses, welche schon seit dem Jahre l.866 sehr übel vermerkt worden ist. — Der für die nächsten Wochen bevorstehende Kampf über die Beibehaltung der auswärtigen Gesandtschaften wird wohl dem Ministerium Gelegenheit geben, neuerdings Zeugniß für seinen Standpunkt abzulegen. Auch in dieser Frage stehen sich der Hof, die Demokratie und die Ultramontanen auf der einen, die nationale Partei auf der andern Seite gegenüber, welche letztere die mittelstaatlichen Gesandtschaften als eine fortwährende Demonstration gegen die Reichseinheit zu betrachten allen Grund hat. Hatten wir doch neuerdings wieder Gelegenheit, in dem demonstrativen Empfang, welchen die Häupter der particularistischen Partei, darunter auch der Chef des geheimen Cabinets, dem auf der Durchreise nach Madrid begriffenen Grafen Chotek bereiteten, einen deutlichen Beweis für die Sympathie wahrzunehmen, welche man in den Spitzen der Stuttgarter Gesellschaft dem diplomatischen Vertreter der Schäffle- schen Jntriguenpolitik am Stuttgarter Hofe auch im jetzigen Augenblick noch an den Tag zu legen für gut findet.
Die Debatte über die Geislinger Wahl wird wohl in den nächsten Tagen die Frage zur Entscheidung bringen, ob in Württemberg abweichend von den Beschlüssen des Reichstages Eingriffe der mit dem Wahlact betrauten Personen in die Wahlfreiheit fernerhin für statthaft erklärt werden sollen.