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Immermann´s Leben.
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Gar nicht für dieselbe bestimmt ist trotz seiner dramatischen Form der Merlin", die Tragödie des Widerspruchs, aber kaum eines seiner Werke ist so unmittelbar aus der Tiefe seiner Natur gequollen. Der Dualismus der idealen Sehnsucht nach den höchsten Zielen der Menschheit und der Ver­suchungen des natürlichen Menschen, welcher im Dichter selbst so schwer kämpfte, wird hier in einer Mythenwelt dargestellt, welche alles in sich schließt, was unser Geschlecht an Räthseln und Fragen über den letzten Zusammen­hang der Dinge in sich schließt. Es muhte somit ein andrer Faust werden, wie ihn auch Geibel genannt hat, aber ungleich der Goethe'schen Schöpfung wird der Merlin nur auf eine kleine Gemeinde beschränkt bleiben. Goethe behandelte seinen Stoff mit der glücklichsten Benutzung volksthümlicher Ge­stalten, als er selbst schon sich zur innern Klarheit durchgerungen halte, der Merlin trägt die dunkeln Lehren der Gnostiker und Sabelltaner in die bunte Fabelwelt der celtischen Sagenkreise, die außer den Gelehrten kaum bekannt sind, und weil der Dichter selbst die Lösung des Räthsels, in das er sich ver­senkt, noch nicht gefunden, so kann auch die Dichtung zu keiner innern Klar­heit gelangen, sondern bewegt sich in aphoristischer Behandlung einer Ueber­fülle von sinnlichen Anschauungen; darum müssen auch die Versuche, das Gedicht zu erklären, scheitern. Aber für alle die, welche über die letzten Fragen und Geheimnisse des Lebens nachzusinnen sich die Mühe geben, bietet der Merlin eine Fundgrube, nicht nur von großen poetischen Schönheiten, sondern von tiefen Gedanken. Wäre es dem Dichter vergönnt gewesen, in spätern Jahren den Merlin umzuarbeiten, so hätte bei der wachsenden Klarheit seiner reli­giösen Anschauungen die Dichtung unendlich gewinnen müssen.

Jmmermann stand dem positiven Kirchenthum ferne, das ihn durch die Schaalheit des herrschenden Rationalismus abstieß, aber er war doch eine positiv-religiöse Natur und seine Entwicklung schritt in dieser Richtung fort, das zeigen die mitgetheilten späteren Briefe an seinen Bruder und an seine Braut unwiderleglich. Eben so war er in der Politik, soweit er sich mit ihr beschäftigte, viel eher konservativ als liberal, oder doch jedenfalls in gutem Sinne ein liberaler Aristokrat.

Die altpreußischen Traditionen hatten in ihm einen lebhaften Staatssinn großgezogen, kopsschüttelnd sah er der liberalen Agitation mancher Freunde in den kleinen Ständekammern zu und meinte, dadurch müsse alle Autorität zerrieben werden. Manche seiner Urtheile über die süddeutschen Zustände im Reisejournal waren zu scharf, sogar ungerecht, aber im Großen und Gan­zen halten wir noch heute seine Anschauung für richtig. Er war ein freige­borener Mann, hoch über jedem Servilismus, und strenge Worte finden sich in seinen Tagebüchern über die Stagnation der letzten 20 Jahre von Frie­drich Wilhelms III. Regierung, die kleinlich alles eigentliche Leben unter-