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Aus Deutsch-Oestreich.
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erleidet, ließe sich verschmerzen. Doch die Schläge treffen das parlamenta­rische System und das Deutschthum überhaupt mit, wenn nicht die Liberalen aller Nationalitäten bald entschlossene Schritte thun, um über Ministerium und Parlament hinweg zu einer Parteibildung zu gelangen und zu verhin­dern, daß die Erbschaft des gegenwärtigen Cabinets wieder den Feudalen und Clericalen zufalle. Noch trösten zu Viele sich mit dem Gemeinplatze, daß eine Wiederkehr des Regiments, welches Oestreich so weit gebracht hat, zur Un­möglichkeit geworden sei; es ist nur unmöglich, wenn das Bürgerthum zeigt, daß es weiß was es will und zu handeln bereit ist. Aber bis jetzt gewahren wir davon wenig. Die allgemeine Betheiligung an Schwindelgeschäften, die Corruption, die Vergnügungssucht und auf der anderen Seite Jndiffe- rentismus und Pessemismus scheinen alle Thatkraft lahm gelegt zu haben. In der Hauptstadt hat man auf je,den Fall viel wichtigere Dinge zu thun als sich mit der Selbsterhaltung zu beschäftigen: da muß man den mehr ekelhaften als komischen Klopffechtereien zwischen den journalistischen Trabanten des Reichs- und des Landesministeriums zuschauen, sich über die Liebschaften der Theaterprinzessinnen unterrichten und sich für oder gegen Richard Wagner heiser schreien. Mögen Andere über unser Geschick entscheiden!

Zur neusten Literatur über Polen.

Russisch-Polen und die osteuropäischen Interessen. VonC. P. (Breslau,

Ernst Günther's Verlag 1870). Polen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. (Leipzig, E. L. Kas-

prowicz 1870.)

Drei Briefe aus dem Orient bezüglich des europäisch-internatio­nalen Rectifieations-Werks. (Leipzig, Fried. Fleischer 1869.)

Daß die todtgesagte polnische Frage gerade in unserer Zeit mehr wie einmal an die Thür des westeuropäischen Gewissens geklopft hat, ist in den Eigenthümlichkeiten der gegenwärtigen Lage zu direct begründet, als daß wir ein Recht hätten uns darüber zu verwundern. Nicht nur daß die seit dem I. 1863 im ehemaligen Königreich befolgte Politik Nußlands, die Polen bis auf das Aeußerste gebracht und Deutschland die Gefahr russischer Ueber« fluthung ungleich näher gerückt hat, die veränderte Stellung Oestreichs im

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