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Der preußische Staat und Ernst Moritz Arndt : vorgetragen als Festrede am Krönungstage, dem 18. Januar 1870, in der öffentlichen Versammlung der deutschen Gesellschaft zu Königsberg in Preußen.
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Der preußische Staat und Ernst Moritz Arndt.

Vorgetragen als Festrede am Krönungstage, dem 18. Januar 1870, in der öffentlichen Ver­sammlung der deutschen Gesellschaft zn Königsberg in Preußen.

Vor wenig Wochen hat der 100 jährige Geburtstag Arndt's an vielen Stellen Deutschlands größere und kleinere Versammlungen zu dankbarem Gedächtniß vereinigt. Das Leben dieses Lieblings der deutschen Nation ist eng mit der Geschichte des preußischen Staats verbunden, die ganze höhere Bedeutung seines Daseins und Wirkens unmittelbar mit den größten Ge­schicken dieser Monarchie verknüpft und man wird in der That sagen können, daß Arndt's literärische und politische Bedeutung wesentlich da beginnt, wo er durch sein Geschick und sein Herz in die großen Bewegungen des preußi­schen Staats hineingezogen wird. Das größte und tiefste Interesse dieses reichen Menschenlebens liegt eben in der Unmittelbarkeit, mit der es den Fortschritt und die Stockungen dieses Staatslebens gleichsam abspiegelte.

Seine Stellung in der Geschichte unserer Poesie ist wesentlich gegründet auf jene Gedichte, in welchen die Stimmung der größten Tage preußischer Geschichte einen so unverwüstlich frischen Ausdruck gewann. Als Publicist wird er Erscheinungen wie dem Pseudonymen großen Engländer Junius, wird er Courrier, ja selbst Börne an Klarheit, Gewandtheit und energischer Schlagfertigkeit des Ausdrucks nicht an die Seite gesetzt werden dürfen, und doch sind auch hier seine Arbeiten für die Geschichte unserer inneren Ent­wickelung, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Fassen wir das Ganze zusammen, die Summe seiner poetischen und prosaischen Schriften, so erscheint in ihnen allen ein rastloses Treiben lebhafter und rücksichtsloser Gefühle und Gedanken, immer ringend nach dem vollen Ausdruck der leidenschaftlichen Stimmung des erhebenden oder niederdrückenden Moments. Man möchte ihn einem frischen, durch und durch lauteren Gebirgswasfer vergleichen, rast­los daher stürzend, schäumend, brandend, den unbekannten Thalgründen zu.

Wie in der gewaltigen Alpenwelt die zarteste Wasserader das ganze Natur­leben unmittelbar mitempfindet, das Schmelzen der Gletschermassen und jeden Regensturz in den höhern und niedern Thälern, wie sie plötzlich anschwillt und sich trübt, weil tief unten die größeren Massen sich an unbekannten Hemmnissen stauen, ebenso geben Arndt's Arbeiten die Bewegung unserer

Grenzboten I. 1870. 46