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Niemand mehr gedacht wird. Auf die politische Parteistellung im Reichstage hat der Gegensatz der materiellen Interessen, der im Zollparlament das große Wort führte, nur verwirrend gewirkt. Und die Lage des Reichstags war an und für sich peinlich und schwierig genug. Das Verhältniß desselben zum Bundeskanzler ist seit der Ablehnung der Steuervorlagen nicht mehr von diesem Körper selbst, sondern von den Resultaten des bevorstehenden Landtags abhängig. Findet die Finanznoth der Regierung keine Abhilfe, so sind neue Steuervorlagen an den Reichstag unvermeidlich und diese können nur dazu führen, die bereits vorhandene Kluft zu erweitern. Wenn uns gar, wie in den letzten Tagen geschehen ist, gesagt wird, daß es mit dem Deficit gar nicht so schlimm sei. als es von Herrn v. d. Hehdt, bei dessen lakonischen Einbringung der Vorlagen gemacht worden, daß die Einnahmen sich in unerwarteter Weise gehoben und die Voranschläge überschritten hätten, so kann das die Lage nur erschweren, nicht erleichtern und die Volksvertretung in der Meinung bestärken, daß sie keine Steuern bewilligen darf, ehe ihr voller Einblick in die Finanzverhältnisse, ehe ihr die Möglichkeit geboten worden, die Verwendungen zu controlliren. Eine Finanzverwaltung, die je nach den wechselnden Bedürfnissen des Tages Muthlosigkeit oder Zuversicht, üble oder gute Laune zeigt, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn man ihr mißtrauisch entgegentritt, zumal wenn sie im Dienst einer inneren Politik steht, die nicht nur die Majorität gegen sich, sondern gar keine Partei hinter sich hat. — Dieser innern Politik, die in den letzten Jahren wesentlich von dem Succurs gelebt hat, welcher ihr durch die Erfolge der nationalen Staatskunst des Bundeskanzlers geboten wurde, ist in dem abgelaufenen Monat zugemuthet worden, wenigstens für einige Zeit auf eigenen Füßen zu stehen. Graf Bismarck hat sich von dem Amte des preußischen Ministerpräsidenten förmlich beurlauben lassen und wie die Offiziösen übereinstimmend berichten, wird dieser Urlaub bis über die Eröffnung des Landtags hinaus dauern und die Herren v. d. Heydt, v. Mühler, v. Eulenburg u. s. w. für die bevorstehende parlamentarische Campagne auf sich selbst und ihre eigenen Kräfte anweisen. Wem bewiesen werden soll, daß Graf Bismarck für den preußischen Staat unentbehrlich ist, ob der Opposition, ob dem Ministerium selbst, ist zunächst noch dahin gestellt. Vom Standpunkte der preußischen Opposition aus, mag die erschwerte Stellung des in eine Anzahl zusammenhangsloser Theile aufgelösten Cabinets als Vortheil erscheinen, weil sie dem nächsten Landtage die Erfüllung seiner Pflicht wesentlich erleichtert — wir, die wir die Sache nach ihrer Wirkung auf das außerpreußische Deutschland beurtheilen, können in dem zeitweise» Ausscheiden des Ministerpräsidenten nur eine neue Calamität, eine Erschwerung der ohnehin unbehaglichen Lage sehen. Die Dinge liegen einmal so, daß das Geschick des preußischen Staats und