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letzteren außerordentlich anstrengend gewesen und die laue Theilnahme, welche das größere Publikum den letzten drei Parlamentswochen geschenkt hat, steht außer Verhältniß zu der Menge der praktischen Resultate, welche durch dasselbe erzielt wurden. Die Person des Bundeskanzlers hat so lange und so ausschließlich im Vordergrunde der öffentlichen Aufmerksamkeit gestanden, daß die Erkrankung desselben dem Interesse für die Reichstagsverhandlungen sein bestes Theil entzogen zu haben scheint, nicht nur in den Augen der Deutschen, sondern auch nach der Meinung unserer englischen und französischen Nachbarn. Die pariser Presse z. B. hat seit ihren polemischen Auslassungen über die Thronrede und Punkt 4 des prager Friedens nur einmal für nothwendig gehalten, auf das, was im Reichstag verhandelt ward, näher einzugehen, nämlich bet Gelegenheit der Moltkeschen Rede über die Marineanleihe und den Küstenschutz. Daß die Ausgleichung des Conflictes, den das Miquelsche Amendement zum Bundesschuld-engesetz veranlaßt hatte, so rasch und so glatt von statten gehen würde, wie es durch die Uebertragung auf die preußische Schuldenverwaltungsbehörde geschehen, ist sicher für alle Theile gleich überraschend gekommen. Im Grunde hätte die nationalliberale Partei gar nicht nöthig gehabt, ihre angebliche „Jnconsequenz" in dieser Frage zu erklären oder in Abrede zu stellen. Consequent in der Wahl ihrer Mittel gewesen zu sein, ist ein Ruhm, den wirkliche Politiker kaum jemals in Anspruch genommen haben oder in Anspruch zu nehmen brauchen. Daß es sich aber bei der beanspruchten Controlle über die Bundesschuldenbehörde um mehr wie ein Mittel zur Erweiterung des parlamentarischen Einflusses auf die Bundesexecutive gehandelt habe, wird sich schwerlich behaupten lassen. Ob die nationalliberale Partei berechtigt gewesen, im April auf eine Nachgiebigkeit des Bundesraths zu rechnen, wissen wir nicht — dieser Partei kann es'aber nur zur Ehre gereichen, daß sie ein höheres Interesse als das ihrer selbst gekannt und eine Angelegenheit von der Tragweite und Wichtigkeit der vorliegenden nicht dem Eigensinn zum Opfer gebracht hat, ihren'Willen um jeden Preis durchzusetzen.
Daß Versäumnisse beim Ausbau einer Verfassung höchst bedenkliche Folgen haben können, hat die preußische Geschichte der Jahre 1859—1866 allerdings deutlich gelehrt; diese Versäumnisse lassen sich aber überhaupt einholen, denn die Factoren, um deren Verständigung es sich handelt, sind gewaltsam aufeinander angewiesen und haben ein starkes gemeinsames Jntercsse. Verabsäumte Maßregeln gegen den äußeren Feind gelegentlich wieder einbringen wollen, wird die Sache gewissenhafter Männer dagegen niemals sein. — Was die übrigen Beschlüsse des Reichstags anlangt, so genügt es, auf die Uebersicht zu verweisen, welche der Präsident Simson in der letzten
. Sitzung entwarf, um die Resultate der zweiten Hälfte der Session zusammenzufassen. Die Annahme eines neuen Gewicht- und Maßsystems, die Ausdehnung der preußischen Landtagsschlüsse über Spielbanken auf das gesarnmte Bundesgebiet, der Beschluß in Sachen des Genossenschaftswesens, die wenigstens theilweise Zustimmung zu den Anträgen der meklenburgischen Petition, endlich die unerwartet friedliche Einigung über die Quartirlasten stellen eine Reihe einflußreicher Umgestaltungen auf den verschiedensten Gebieten des öffentlichen Lebens in Aussicht. Freilich nur in Aussicht! Nach den M'' fahrungen, welche in diesem wie im vorigen Jahre mit der Art und Weil der Ausführung von Bundesbeschlüssen gemacht worden, müssen wir uns sagen, daß der Mangel besonderer Bundesministerien für die einzelnen >M- sorts, die Durchführung des Beschlossenen wenigstens für einige Zeit von dem guten Willen der einzelnen Negierungen und ihrer Organe abhängig macy >
Aus diesem Grunde erscheint die Nichterledigung der Gewerbegesetzfrage kaum