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send und ergänzend eintreten. Sind die von unserem Autor bisher beigebrachten Zeugnisse zu Gunsten des viel verdächtigten östreichischen Ministers auch nicht vollständig genug, um ein abschließendes Urtheil zu gestatten, so kann man sich doch dem Eindruck nicht entziehen, daß von den Anklägern desselben in der That vielfach zu weit gegangen, ja — von allem Uebrigen abgesehen — sogar die Grenze des psychologisch Wahrscheinlichen vielfach überschritten worden ist. Von der Reduction der landläuflichen harten Verur- theilungen bis zu einer vollständigen Apologie Thuguts ist freilich noch ein weiter Schritt. Daß der Verfasser diesen Schritt wenigstens hie und da zu machen versucht hat. wird wesentlich auf den Umstand zurückzuführen sein, daß ihm an einer möglichst scharfen Bezeichnung des Gegensatzes gelegen sein mußte, in welchem er zu den früher gewonnenen Resultaten steht. Von der Gefahr einer umgekehrten Anwendung der oben angedeuteten Lückentheörie d. h. der Neigung. Thugut unter günstigen Präsumptionen zu behandeln, wo dieselben zur Unterstützung seines Plaidoyers dienen konnten, hat Herr Hüffer sich ausnahmslos freigehalten.
Die günstige Aufnahme, welche der vorliegende erste Band der „diplomatischen Verhandlungen" gefunden hat, legt die Hoffnung auf baldige Fortsetzung desselben nahe. Der Sache Preußens kann es nur zum Vortheil gereichen, wenn die Modifikationen, die an der bisher gangbaren kleindeutschen Auffassung der Geschichte des Revolutidnszeitalters über kurz oder lang unvermeidlich waren, von derselben Seite her vorgenommen werden, welche sie zur ihrigen gemacht hatte. Daß aber die einzelnen Irrthümer der Geschichtsschreiber unserer Partei nicht sowohl auf „Jnteressirtheit an den Resultaten der Forschung" als auf die Beschränktheit des vorhandenen Urkun- denmaterials zurückzuführen waren, geht aus dem Hüfferschen Buche ebenso deutlich hervor, wie daß in der Kritik der östreichischischen Politik des Revolutionszeitalters vielfach zu weit gegangen worden. Wir hoffen, der Verfasser werde sich auch für seine weiteren Forschungen auf diesem Gebiete die Nüchternheit und maßvolle Ruhe zu wahren wissen, welche aus der vorlie- Senden Arbeit spricht. Von dem Eifer für Feststellung neuer Resultate und Berichtigung früherer Urtheile fortgerissen zu werden bis über die Grenzen der Wahrheit, ist eine Gefahr, der schon mancher Forscher erlegen ist. In dieser Beziehung Maß und der Versuchung Stand halten können, eine extreme Forschung durch die andere auszutreiben, ist vielleicht die schwierigste der Proben, welche der Historiker zu bestehen hat.
Grenzbotm II. 1868.
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