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schwieg, als man erfuhr, daß Freiherr v. Neurath zuvor schon sich der Einwilligung des Hofs versichert hatte, an welchem in dieser ganzen.Zeit preu- ßenseindliche Einflüsse dominirten, obwohl dem König selbst, wie es hieß, die ganze Geschichte verdrießlich war. Die unter dem Einfluß der Regierung stehende sogenannte liberale Partei in Stuttgart, die im April v. I. ein tadelloses Programm im Sinn des sofortigen Anschlusses an den Nordbund veröffentlichte, in derselben Zeit, als Freiherr v. Varnbüler einen so löblichen Eifer für den militärischen Anschluß an Preußen entwickelte, machte jetzt Compagniegeschäfte mit der Volkspartei, arrangirte mit ihr gemeinschaftliche Versammlungen und gemüthliche Wahlausflüge, und der Oberbürgermeister der Hauptstadt, dessen Autorität in der Regel dann für politische Zwecke verwandt wird, wenn es gilt, einer Sache, die nach heftigen Kämpfen eben reif in die Erscheinung tritt, zu guter letzt feierlich noch die Weihe des Levatus xopuIusMg SwttMrtiöllLis zu ertheilen, wußte im October v. I. ebenso geschickt eine Versammlung, die vollends ihr Gewicht in die Wag- schaale der Verträge mit Preußen warf, zu leiten, und durch die Macht seiner Beredtsamkeit die Gemüther seiner Mitbürger zur Freundschaft mit dem Nordbund zu entzünden, als er nun heute unter dem Druck einer anderen Stimmung und vielleicht anderer Weisungen denselben Mitbürgern die abschreckenden Seiten eben dieses Nor'dbunds mit gleicher Beredtsamkeit entwickelte.
Der widerwärtige Charakter, den die Wahlagitation in ihrem letzten Stadium hatte, war wesentlich veranlaßt durch die vielberufenen Zahlen über die preußischen Steuern, die der Verwalter des Herrn v. Varnbüler in seiner Wahlrede den entsetzten Zuhörern vorhielt, und die selbst wieder ihren Ursprung in der bekannten Rede Varnbülers vom 11. December hatten. Diese Zahlen, wie oft sie auch von nationaler Seite, insbesondere durch die Ausführungen Ed. Pfeiffers, widerlegt wurden, bildeten von da an, auf offieiösen Canälen durch das ganze Land verbreitet und überall aä libiwm weiter ausgeschmückt und auf die geschäftigste Weise übertrieben, das Material, mit welchem die demokratischen, konservativen und ultramontanen Kandidaten um die Wette operirten. Es ist unglaublich, gegen welche Erfindungen der schamlosesten Art die deutschen Candidaten anzukämpfen hatten. Die Leichtgläubigkeit des Volks und das ihm natürliche Mißtrauen wurden auf die bezüglichste Art ausgebeutet, und wenn auf den Volksversammlungen auch die sachlichen Auseinandersetzungen der nationalen Redner meistens willig angehört wurden, — denn das Volk hatte sicherlich das Bestreben, sich belehren zu lassen — so blieb doch immer etwas hängen, es wurde den Verdacht nicht los, daß die deutsche Einheit, wenn auch ein schönes und nützliches Ding, doch vielleicht etwas kostspielig sein möchte, und schließlich entschied bei der Mehrheit des Volks die Erwägung, daß es ohne Zweifel