242
bringen. Deshalb lehnen sie sich an keine bestimmte Schule an und sind ge- schworne Feinde der Akademien, da diese die Individualität des Künstlers untergraben, indem sie ihn lehren nach Schablonen zu arbeiten? Dagegen legen sie den größten Nachdruck auf das eingeborne Talent, die specifische Anlage des künstlerischen Auges und die Eigenthümlichkeit der bildenden Phantasie sowohl als der Empfindung und erklären sich damit gegen jede erzählende Darstellung, mag sie sich nun auf dem Gebiete der Geschichte oder des gewöhnlichen Lebens bewegen. Denn die 'Malerei soll nach ihrer Vorstellung nicht ein bestimmtes Geschehen, eine sich verlaufende Begebenheit, sondern ein einfach erfülltes Dasein, ganz durchdrungen von der gesammelten Stimmung des Momentes, zum Ausdruck bringen.
Zunächst ist die Pieta von Anselm Feuerbach zu erwähnen, unter den hierher gehörigen Bildern durch die eigenthümliche Behandlung des bekannten Motivs besonders bemerkenswerth. Die hergebrachte typische Auffassung ist ganz aufgegeben, an die Stelle der Jdcalgestalt Christi das Abbild eines realen Menschen ohne jede Verklärung getreten. Maria, dem Beschauer mit dem Rücken zugekehrt, ist mit der Bewegung eines mehr sich hingebenden als verzweifelnden Schmerzes über dem Leichnam zusammengesunken; die Höhle, in der beide liegen, öffnet sich links ins Freie, und hier knieen — eine ganz neue Bereicherung des Motivs — vom Abendhimmel sich abhebend, drei Frauengestalten in fast gleichartiger Stellung mit dem Ausdruck gefaßter Trauer. Dem Bilde ist eine eigene anziehende Wirkung nicht abzusprechen. Kaum haben wir es hier noch mit einer religiösen Darstellung zu thun; der Vorgang ist einfach ins rein Menschliche übersetzt und in die Realität des Lebens zurückgeführt. Eine solche Auffassung der christlichen Mythe kann nur willkommen sein; denn sie zeigt, daß die Stosse derselben, welche für die Gegenwart ganz unbrauchbar zu werden drohten, noch immer dankbare Motive abgeben können. Es handelt sich nur darum, den trüben Nebel der Heiligkeit und Uebernatürlichkeit, der sie noch immer umhüllt, obwohl er für das moderne Bewußtsein ein für alle Mal zerflossen ist, entschieden fallen zu lassen. So gut das Christenthum in seiner großen einfach menschlichen Bedeutung noch immer lebendig ist und erst recht lebendig werden kann, so gut kann das Leben seines Gründers noch immer Gegenstand der Kunst sein, wenn nur diese in ihm nicht mehr den Sohn Gottes sieht, sondern einfach den großen Menschen zu fassen sucht. Und es ist nicht zu läugnen, Feuerbach hat es vermocht, einen der ergreifendsten Momente dieses Mythenkreises unserer Empfindung nahe zu bringen. Allerdings nicht durch eine große Auffassung, welche die Bedeutung des Motivs in mächtigen Formen zum Ausdruck brächte, sondern durch eine malerische Behandlung, welche mit moderner Empfindung den Gegenstand in das gegenwärtige Leben und in das stimmungsvolle Element von Farbe und Ton ganz hereinzieht.