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Die münchener Kunstausstellung und die Gegensätze in der modernen Kunst. 2. : Die neuen Talente und das malerische Princip. Das Sittenbild.
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Die Münchener Knnstanssteilung und die Gegensätze in der

modernen Kunst.

2.

Die neuen Talente und das malerische Princip. Das

Sittenbild.

Von den verschiedenen Richtungen, welche die heutige Malerei im Gegen­satz zu dem hergebrachten Formalismus der vorangegangenen Jahrzehnte ge­bildet hat, bleibt uns noch Eine zu betrachten, für die wir um einen Namen verlegen sind. Sie ist erst im Entstehen und ihr Charakter noch nicht deutlich ausgeprägt. Weder schließen sich ihre Vertreter zu einem Ganzen oder einer Schule zusammen, noch ist ihnen eine gemeinsame BeHandlungsweise eigen, und ihre gleichartige Anschauung beruht mehr auf der natürlichen Ueberein­stimmung der Talente, als aus einem ausgesprochenen Programm. Wie die Richtungen, von denen im vorigen Artikel die Rede war, beschränken sie sich nicht auf einen bestimmten Zweig der Malerei; sie legen überhaupt kein Gewicht auf den Unterschied der Gattungen und zeigen nur insofern eine gewisse Hin­neigung zu dem, was man historische Kunst im weitern Sinne nennt (man sollte doch endlich die unpassende Bezeichnung aufgeben), als sie die menschliche Gestalt in ihren großen individuellen Zügen zu fassen suchen. Wie schon er­wähnt, kommt es auch ihnen aus die Bedeutung des Inhaltes nicht an, aber sie wollen in der malerischen Erscheinung, in der sie das Wesen ihrer Kunst sehen, zugleich ein inneres Leben und eine tiefere Stimmung, eine auf den Beschauer übergehende Empfindung zum Ausdruck bringen. Daher bezeichnet der Name Coloristen ihre Eigenthümlichkeit nur unvollständig; denn sie wollen von der Malerei mehr als den Reiz einer harmonischen Färbung, die doch nur die Wärme des sinnlichen Lebens wiedergibt. Sie eifern insofern den großen Mastern nach, als sie mit jedem Kunstwerke, was es auch darstelle, eine unendliche Wirkung, den Eindruck eines erfüllten, in sich abgeschlossenen Da­seins zu erreichen suchen; doch wollen sie die Alten nicht nachbilden, sondern ihre Empfindung, ihre Art die Dinge zu sehen, zu selbständiger Erscheinung

Grenzboten IV. 1863. 31