Beitrag 
Briefe über Oestreich : 1. Oestreich und die Würzburger.
Seite
42
Einzelbild herunterladen
 

42

Säfte des Staatskörpers in eine heilsame Bewegung zu bringen und die Nation von jener pessimistischen Stimmung, der gefahrlichsten aller politischen Krankheiten zu befreien. Schon fühlt die Regierung sich stark genug, die er­schlafften Fäden ihrer auswärtigen Beziehungen wieder fester zusammenzu­nehmen, und straffer anzuziehen, worin sie durch die in Oestreichs Natur be­gründete Vielseitigkeit der politischen Beziehungen, die dem lockeren Gefüge des Staates eine so unerhörte diplomatische Bedeutung gibt, trefflich unterstützt wird. Der eben noch so tief gedemüthigte Staat sieht sich von den ersten Mächten der Welt umworben; fast scheint es, als brauche er nur zuzugreifen um das Schiedsrichteramt zwischen dem Osten und Westen zu übernehmen. Und auch in der Stellung Oestreichs zu Deutschland tritt uns dieser wunderbare Glückswechsel entgegen. Wohin wir auch blicken, nehmen wir rührige Thätig­keit und unerwartete Erfolge wahr.

Der Aufschwung Oestreichs hat nicht verfehlt, einen bedeutenden Eindruck auf das europäische, besonders auf das deutsche Publicum zu machen. Wäh­rend vor einigen Iahren der eifrige Zeitungsleser von einem Tage zum andern auf die Nachricht von dem Untergange Oestreichs wartete, und nur darüber in Zweifel war, ob derselbe in Folge eines Bankerotts oder einer magischen Wir­kung des Nationalitätsprincips erfolgen werde, oder ob das Schicksal einen so monströs zusammengesetzten, jeder Berechtigung zur Existenz entbehrenden Staat durch eine ganz abnorme, bis dahin in der Geschichte noch nicht ge­kannte Todcsart von seinem Dasein zu erlösen beabsichtige-, gilt es gegenwartig schon für eine politische Paradvxie. wenn man einigen Zweifel hegt über den reellen Werth der Erfolge, die Oestreich in der letzten Zeit davongetragen hat. Gerade deshalb ,aber dürfte es zeitgemäß sein, zu prüfen, ob denn die Wirk­lichkeit überall dem Scheine entspricht, ob in der That Oestreich nur Hand an­zulegen braucht, um der Hegemon Deutschlands, der Schiedsrichter Europas zu werden, ob seine inneren Verhältnisse ihm freie Bewegung gestatten. Vor Al­lem kommt es darauf an, zu untersuchen, ob zwischen Oestreich und seinen großen und kleinen Bundesgenossen ein so vollständiges Einvernehmen obwaltet, daß es rücksichtslos und ohne die Furcht, sich zu cvmpromiltircn, die Wege ein­schlagen kann, auf die man von verschiedenen Seiten es zu drängen sucht. Zu­nächst wollen wir Oestreichs Verhältniß zu den Würzburgern ins Auge fassen.

Die öffentliche Meinung ist gewohnt, die Interessen Oestreichs und der Würzburger Regierungen zu identisiciren und sich der Ansicht hinzugeben, daß beide dasselbe Ziel verfolgen. Nichts kann verkehrter sein, als diese Ansicht. Gemeinsam ist ihnen nur das negative Ziel, die Gründung eines Bundesstaates unter Preußens Führung zu hintertreiben. In ihren positiven Zielen herrscht keine Uebereinstimmung, ja man kann behaupten, daß unter den Mittelstaaten selbst die Harmonie nur eine sehr unvollkommene ist.