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Die neueste deutsche Kunst. 2. : Die historische Kunst und ihre neuesten Versuche.
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Die neueste deutsche Kuust.

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Die historische Kunst und ihre neuesten Versuche.

Die großen Hoffnungen, die man im ersten Drittel des Jahrhunderts für die Entwickelung der deutschen Malerei hegte, scheinen, wie wir gesehen, nicht oder nur zum geringen Theil in Erfüllung zu gehen. Es war kein Zufall, es lag vielmehr in der eigenthümlichen Verfassung des modernen deutschen Geistes, daß sich die Kunst wenig bemühte, eine gründliche Schule durchzu­machen und im allmäligcn Aufsteigen eine sichere Herrschaft über die Mittel der Darstellung zu erlangen. Sie hatte sich entschieden nach Gehalt und Form von der jüngsten Vergangenheit abgewendet, und dieser gewaltsame Bruch hin­derte sie an einer tieferen Einkehr in die Periode der vollendeten frühern Kunst; zudem bewegt von der Anschauungsweise und den Ideen einer neuern Zeit mochte sie nicht erst, um ihnen Ausdruck zu geben, ihren Bildungsgang durch eine vergangene Knnstweisc nehmen. Sie war wie der ungeduldige Jüngling, dem in der Sturm- und Drangperiode die inneren Lebcnsmachtc keine Ruhe lassen und der diesen, noch ehe seine Kraft sich geläutert, seine Phantasie sich abgeklärt hat, mit einem kühnen Wurfe gleich den mächtigsten Ausdruck zu ge­ben sucht. Auch unsere größten Kunstwerke haben etwas von der Unreife des sich überstürzenden jugendlichen Uebermuthcs, und bisweilen ist es, wie wenn ein erhabener Geist in unbeholfenen Formen sich eckig, mühsam, halb verlegen und doch mit der Unbescheidenbeit des unfertigen Genies bewegte.

Um so schwieriger scheint nun, nachdem die erste stürmische Zeit der Pro- duction vorüber ist, die Rückkehr zur stillen Arbeit, die mit der mustergültigen alten Kunst sich vertraut macht und sich von ihr die künstlerische Darstellung des Lebens in Form und Farbe zum freien Mittel für ihre eigene Anschauung erwirbt. Denn allerdings kann nur in dieser Weise die Vergangenheit zum wirklichen Bildungselement für die Gegenwart werden. Es ist nicht mit einem Borgen, Sichanlehnen, oberflächlichem Aufnehmen gethan; es handelt sich viel­mehr um ein gründliches Aneignen und Verarbeiten nicht der Ideen, sondern

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