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Von der preußischen Grenze.
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muß ihre Politik nicht nach ihren Sympathien, sondern nach ihren Interessen be­stimmen, so ist es Zeit den Arzt zu rufen und ihm den Puls zu fühlen, denn man kann zehn gegen eins wetten, daß er im Begriff steht, aus irgend einer transcen­dentalen Doctrin das für das Interesse der Nation auszugeben, was ihrer Sym­pathie widerspricht. Eine Nation hat aber nur dann eine wirkliche Politik, wenn ihre Sympathien mit ihren Interessen übereinstimmen.

Preußen sucht mit einer unruhigen Hast nach allen Seiten Bundesgenossen. In Nußland ist leider die Conferenz rasch abgebrochen; was auch dort gesprochen sein mag, jedenfalls hat man nicht Zeit gehabt, eins festzustellen: die Zahl der Armeccorps, welche Rußland Preußen zur Verfügung stellt, und die Zahl der Tage, innerhalb deren sie nach dem Rhein befördert werden sollen. Oestreich würde gern die Bundesgcnosscnschaft annehmen, unter der Bedingung, daß Preußen den ganzen Stoß der Waffen allein aus sich nimmt und nichts dafür verlangt. Es ist jetzt in einem großen Experiment begriffen das, wenn die neuen Einrichtungen in Ungarn Zeit haben, sich ruhig einzuleben, sehr segensreich wirken kann; wenn man aber die Wirkung für den Augenblick erwartet, so wäre das ein sehr gefährlicher Irrthum. Denn noch wissen die Ungarn sehr gut, daß nicht die Liebe, sondern die Furcht ihnen diese Zugeständnisse verschafft hat, und bereitet Oestreich den Itali­enern einen Krieg auf Leben und Tod, so werden ihn diese nicht mit Paragraphen des Völkerrechts fuhren, trotz aller Doctrincn, die man ihnen vorträgt.

Unter allen natürlichen Bundesgenossen, welche die preußische Regierung zu su­chen hat, scheint uns der natürlichste das preußische Volk zu sein. Wohin die Sym­pathien des preußischen Volks gehen, das wird auch der Kurzsichtige Gelegenheit ha­ben wahrzunehmen; und seine Interessen liegen nicht weit davon entfernt. Das Volk ist jetzt der Regierung geneigt: das ist ein Gewinn, aber es gnügt noch lange nicht; das Volk muß für die Regierung begeistert sein. Das wird aber nicht eher geschehn, als bis die Regierung ihr bisheriges Schaukelsystem zwischen zwei feind­lichen Parteien aufgibt, bis das Volk sich überzeugt, daß ihr Gefühl nicht ander­wärts ist als ihr Verstand. Man hat Victor Emcmucl scharf getadelt, aber man kann ja auch vom Feinde lernen. Gewiß wird dieser König lieber eine Armee commandiren als sich mit den Kammern in langweilige Debatten einlassen. Und^ doch gibt es seit elf Jahren keinen konstitutionelleren König als Victor Emcmucl. Die Folge davon ist, daß er unbedingter als je ein absoluter Monarch sein Volk beherrscht. Absolut herrscht nicht derjenige, der wie Jakob I. beständig von seinen ab­soluten Rechten redet, sondern derjenige, der, was er will, ganz will, und dessen Willen sich mit der Natur der Dinge in Uebereinstimmung befindet. Das deutsche Volk ist nur darum noch immer so uneinig und unentschlossen, weil keiner da ist, der es beherrschen will.

Was die übrigen natürlichen Bundesgenossen betrifft, so hat Preußen freilich alles Mögliche gethan, sie zu gewinnen. Baden! Teplitz! jetzt die auf dem Umwege von Turin nach Frankfurt adresfirte Note! Die Erfolge sind nicht glänzend. Die natürlichen Bundesgenossen haben eine Bundcskriegsverfassung vorgeschlagen, in welcher unter andern sür den Fall, daß Oestreich an einem Bundeskrieg gar nicht, Preußen dagegen mit allen seinen Streitkräftcn theilnimmt, die Wahl des Bundes- fcldherrn dem Bundestag vorbehalten bleibt. Kurhcsscn bereitet sich vor, die land-

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