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Von der preußischen Grenze.
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unter dem 30. Mai. gestützt auf den Bundestagsbeschluß vom 24. März, die neue Verfassung, die mit dem I.Juli ins Leben treten soll, nun wirklich publi- cirt. In nächster Linie wird nun das hessische Volk sich darüber auszusprechen haben. Es ist schwierig genug: denn nicht blos jeder Beamte, nicht blos jedes Ständemitglied, sondern jeder Inländer mit dem 18. Jahr hat den Hul­digungseid zu schworen, mittelst dessen er Treue dem Landesherrn und Beob­achtung der Verfassung gelobt. An der Wahl der Abgeordneten sind im wesent­lichen nur die Ortsvorsteher und Gemeinderäthe betheiligt. Die Möglichkeit ist vorhanden, daß diese, wenigstens eine große Zahl derselben, die Ableistung eines Eides verweigern, der gegen ihre Rechtsüberzeugung ist. Dann wird die Sache wol vor den Bundestag kommen, und es wird sich zeigen, ob dieser sich, dem Widerspruch Preußens gegenüber, zu Gewaltmaßregeln entschließt.

Eine Art von Umstimmung scheint bei einigen Negierungen stattgefunden zu haben. Baden hat sich darüber bereits ausgesprochen; in kurzem wird wol der bayrische Landtag zu einer Kundgebung veranlaßt werden, a» deren Inhalt nicht zu zweifeln ist, und da die bayrische Regierung geneigt scheint, im Einverstündniß mit ihren Ständen zu handeln, so wäre es für Preußen von der größten Wichtigkeit, sich auf dieser Seite über ein Provisorium zu einigen. Jedes gewaltsame Einschreiten des Bundestags müßte beseitigt wer­den: das ist ein Mittelweg, auf dem Preußen bestehen muß, und bei dem es sich vorläufig beruhigen kann. Die Lage Preußens würde günstiger sein, wenn es nicht blos den formalen Rechtspunkt hervorheben dürfte, wenn es auch dem Inhalt der Verfassung seine Sympathie schenken dürfte. Man mißver­stehe uns nicht: der formale Rechtspunkt ist der einzige, der es Preußen ver­stattet, sich überhaupt an der Sache zu betheiligen; aber diese Betheiligung würde wirksamer sein, wenn die andern Regierungen das Gefühl Hütten, sie gehe von einer entschieden liberalen Regierung aus, d. h. das Ministerium sei der wirkliche Ausdruck der Regierung. Welche Gründe sie bestimmen ton­nen, daran zu zweifeln, und wie dieser Zweifel zu beseitigen ist, darüber haben wir uns schon mehrfach ausgesprochen. Der Schwerpunkt der projectirten kur­hessischen Verfassung liegt in der aristokratischen Kammer; so lange diese in der preußischen Verfassung einen so mächtigen Unterstützer hat, wie das ge­genwärtige Herrenhaus, wird man das Gewicht des preußischen Protestes nicht hoch anschlagen.

Freilich enthält die Verfassung noch andere Bestimmungen, die nicht feu­dalistisch sondern absolutistisch klingen.Durch die Contrastgnatur der Minister enthalten Anordnungen und Verfügungen allgemeine Glaubwürdigkeit und Vollziehbarkeit. Diese rechtliche Folge ist ohne alle Ausnahme, sowol für die Gerichte als für alle andern Staatsbehörden maßgebend, den Land- ständen bleibt vorbehalten, wenn sie sich durch Verordnungen und Erlasse in