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isolirt, nicht einmal in der Nähe von Dörfern, das Gutsgebäude umgeben von Ställen nnd „Branntweinsküche", die Kirche von Pastorat, Küsterwohnung. Herrnhuterbethaus und Kirchenkrug. Deutet nicht schon dieses äußere Zeichen unverkennbar auf die von Alters her principiell befolgte unpolitische Abschei- dung des Deutschen von dem Autochthonen bin? Sie wird voraussichtlich den ohnehin schwachen Widerstand gegen die Russificirung bedeutend abkürzen. Jedoch auch die Dörfer und einzelnen Bauerngehöfte (hier „Streugesinde" genannt) trafen wir in spärlicher Anzahl; denn es kommen in Esth- und Liv- land durchschnittlich nur 800 Menschen auf die Quadratmeile! Zuweileu sah ich in der Ferne dicken Qualm aus den Strohdächern hervorbrechen und erwartete iin nächsten Augenblicke das Aufsteigen der Flamme. Beim Näher, kommen aber erwies sich stets der Rauch als der nothwendige Insasse des Hauses, welcher nur in Ermangelung eines Schlotes überall das Haus zu durch, brechen gezwungen war. Trotz der Kälte standen die Kinder in bloßen schmutzigen, beinahe schwarzen Hemden unter den Thüren; die größeren liefen dann unsern Pferden voran, um die Pforten der Zäune zu öffnen und eine Kupfermünze als Belohnung zu empfangen; die kleineren flüchteten wol auch unter dem Rufe „Saks tulleb": der Deutsche kommt! schüchtern ins Innere der Hütte. Schmutzige Armuth, bereits das Erbtheil der Esthen. als vor zwei Jahrtausenden die südlichen Culturvölker von ihnen Kunde bekamen, drückt heute noch mit wenigen Ausnahmen die Nation, und wenn man insbesondere die Liebigsche Theorie von der Bestimmung des Civilisationsgrades nach dem Verhältnisse des Seifenvcrbrauchs hier nnwenden wollte, würde dieses Volk wenig über dem Gefrierpunkte der Barbarei auf der Skala zu siguriren haben. Der Esthe freilich entschuldigt sich mit dem Sprichworte: „Kis tööd teeb, se mustaks sanb" (Wer arbeitet, macht sich schwarz) und sagt in einem anderen spottend über den Deutschen: „Robi suits ja tuM wing on sccksa surm" (Rauch und Qualm ist des Deutschen Tod)! —
Allmälig brach die Nacht an, und ich wunderte mich nicht wenig, als Plötzlich die etwas ausgesahrenen Gleise des Weges sich ebneten und unsere kleine» Pferde mit verdoppelter Schnelligkeit über die glatte Fläche trabten: wir befanden uns auf dem Wirzjärw, dem größten Landsee in den Provinzen nächst dem Peipus. Wie die meisten anderen hat auch er im Gegensatze zu den malerischen Seeufern Finnlands eine niedrige, morastige Einfassung, und wir hatten daher- die Abwesenheit des Tageslichts nicht zu bedauern. Nach einer mehrstündigen Fahrt, auf welcher Fichtcnäste, in kurzen Zwischenräumen gesteckt, den Weg kennzeichneten, erreichten wir wieder das feste Land und lenkten in das vom aufgehenden Monde unterbrochene Dunkel des Waldes ein. > Das hart am engen Durchhau stehende Unterholz war völlig eingeschneit und täuschte das Auge durch die phantastischsten Formen; dünne große Stämme