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Der Mond im Aberglauben.
Um die hervorragende Rvlle zu begreifen, die der Mond im Aberglauben spielt, ist es nicht nöthig, sich an die Gestalt zu erinnern, in welcher er den llrvölkern erscheinen mußte. Seine Bedeutung in jenem Kreis von Anschauungen, seine Stellung in der Physiologie, Psychologie und Medicin des Volkes erklärt sich zum Theil schon, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie sein Bild auf limsre Stimmung und Empfindung, auf die Stimmung und Empfindung des gebildeten Menschen wirkt, sobald dieser mit ihm allein und nicht gerade ohne allen Sinn für die Natur ist. Der Mond ist die Sphinx des Himmels, von der Sprache als Mann aufgefaßt und doch in der Seele als Weibliches empfunden, halb regelrechtes, wohl erklärliches Naturding, halb mystischer Magus, der nach jedem Räthsel, das wir lösen, ein neues im Munde hat. Die Wissenschaft ist auf der Leiter, die seine Strahlen bilden, zu ihm hinaufgestiegen und hat ihn Stück für Stück der Eigenschaften entkleidet, welche die Phantasie der Fabelwelt ihm verliehen. Er hat es dulden müssen, von ihr gemessen und gewogen zu werden. Von ihren Spiegeln gefangen, von ihren Fernröhren bedroht, Hut er fast über alle seine häuslichen Verhältnisse, über seine bürgerliche Stellung im Staat der Gestirne, selbst über manche seiner privaten Neigungen und Liebhabereien in einer Weise Rede gestanden, daß man meinen sollte, es sehle nur noch wenig zu einem vollständigen Signalement. Jeder aufmerksame Bürger» schüler kann es ihm wiederholen, um wie viel kleiner er als die Erde ist, wie viele Meilen sein Durchmesser hat, was sein spezifisches Gewicht, seine mittlere Entfernung von unserm Planeten beträgt. Wir können die Figuren der Tour, die er um diesen tanzt, mit Kreide auf den Tisch mi'.len, wir wissen sogar, in welchem Grade ihm seine vornehmere Tänzerin imponiren müßte, falls ihm die Fähigkeit zum Vergleichen innewohnte. Er hat gestehen müssen, daß er um vieles weniger schön, als diese, ja daß er eigentlich ein recht häßlicher Himmelskörper ist, daß er den anmuthigen Wechsel der Jahreszeiten nicht kennt, daß er kein Wasser, weder das dichte greifbare der Seen und Ströme, noch das dünne fliegende der Wolken, hat, daß er nichts von dem erhabnen Zorn der Gewitter, nichts von der holden Gluth der Morgenröthe, nichts von Himmelsbläue und Waldesgrün weiß, daß ihm jeder Begriff des animalischen und vegetabilischen Lebens fehlt, welches uns hier unter ihm mit seinen Farben, Formen und Stimmen erfreut.
Der Mond der Astronomen ist ein unheimlicher, düstrer Gesell, mißfarbig, am ganzen Leibe mit Warzen und Buckeln, dreimal so hoch als unsre höchsten Berge, mit tiefen Schrammen und Pockennarben, grausiger als unsere tiefsten
Grenzbuten I. 1860. 62