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zum Virtuosen herabzusinken. Daran ist z. B. in unglaublicher Schnelligkeit die Rachel künstlerisch und physisch zu Grunde gegangen.
Dies sind die allgemeinen Zeitverhältnisse, sehen wir nun zu, wie innerhalb derselben sich das Talent unsrer Künstlerin entfaltet hat.
Marie Seebach ist in den letzten zwanziger«; sie ist aus einer Schauspielerfamilie und auf dem Theater groß gewachsen. Mit seltenen Ausnahmen ist das bei allen darstellenden Künstlern der Fall, und es möchte im ganzen auch das naturgemäße sein: eine technische Vorbildung, deren Resultate all- mälig so zur Natur werden, daß man sich ihrer mit genialer Bewußtlosigkeit bedienen kann, ist für die Kunst günstiger als eine specifisch litcrarische Vorbildung. Doch auch die letztere hat sie sich in einem nicht geringen Maß angeeignet, ob nachträglich aus eigner Kraft, oder durch die Sorgfalt ihrer Eltern, ist uns nicht bekannt. In ihrer frühsten Jugend wurde sie im ganzen wenig beachtet; sie trat im Soubrettenfach und als Localsängerin auf, und setzte verhältnißmäßig erst spät ihren Uebergang ins Tragische durch. In Hamburg kam sie zuerst zur Geltung und hier darf nicht unerwähnt bleiben, daß das Hamburger Publicum durch warme und liebevolle Theilnahme so manches bedeutende Talent groß gezogen hat. Die Münchner Vorstellungen, durch welche sich Dingelstedt das Verdienst erwarb, die bedeutendsten Kräfte Deutschlands zu einem lebendigen und fruchtbaren Wettstreit zu vereinigen, machten zuerst das größere Publicum mit diesem seltnen und bereits zu einer großen Reise entwickelten Talent bekannt. Seitdem stieg ihr Ruhm schnell durch Gastspiele, durch ihre Anstellung am wiener Hostheater, später in Hannover; seit einigen Monaten ist sie mit dem Tenoristen Niemann verheirathet, der gegenwärtig durch Kraft und Wohlklang der Stimme wie durch vollendete Bildung zu den besten dieses Fachs gehört. Dies sind die äußern Umrisse eines Lebens, welches wol manche ernste Schicksale durchgemacht haben mag.
Um uns von ihrer Kunst ein Bild zu machen suchen wir uns zunächst ihre äußere Erscheinung zu versinnlichen. Ein ausdruckvolles und ausdruck- fähiges Gesicht, ein Auge, das namentlich innige Gefühle schön und zuweilen hinreißend wiedergeben kann, eine durchaus nicht imposante, aber wohl gebaute Gestalt, die ihre Bewegungen mit vollkommener Sicherheit beherrscht, eine deutliche wohlklingende und von allen unreinen Elementen völlig befreite Stimme, die sich in einen bedeutenden Umfang der Tonlage sicher bewegt und sich ohne ängstliche Anstrengung zu großer Kraft steigern kann: endlich was für die ganze Erscheinung vielleicht das charakteristische ist: im Auge, in der Gesichtsbildung, in den Mienen, in der Stimme etwas eigenthümlich Geistiges, das den Zuschauer selbst da. wo sie nicht in lebhafterer Bewegung ist, aufmerksam macht, anzieht und fesselt. Dies sind die Elemente über die