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Die Umgestaltungen des Verkehrs haben diesen Messen und Märkten den größten Theil ihrer Bedeutung genommen; auch heute noch ist indeß das Leben und Treiben zu Sanct Barthvlomäus und zu Maria Geburt ein regeres, den Sitten und Unsitten unseres überfeinerten Jahrhunderts mehr entsprechendes, als man auf den Schultern des titanischen Gebirges erwarten sollte. Hat doch leider sogar der Roulettetisch an der Stelle Raum gefunden, wo die Legende den heiligen Marinus selbst seine Ehefrau als eine Versucherin von sich weisen läßt!
Die Unabhängigkeit der kleinen Republik hat im Verlauf der Zeit vielfache Anfechtungen erfahren, und es fällt auf, daß sie im Verlauf der Zeit nicht verloren gegangen ist. Schon zu Ende des 15. Jahrhunderts ward die Freiheit der meisten italienischen Städte einheimischen Dynasten zur Beute. Wenig später wurden die Herrschaften dieser Stadttyrannen wieder von den Fürsten verschlungen, die sich allmälig das Gebiet der ganzen Halbinsel anzueignen und zu theilen wußten. Nur wenige Republiken von jenen zahllosen, die zur Zeit der Hohenstaufen über die Halbinsel verstreut waren, bestanden noch zur Zeit unsrer Väter und auch diese wenigen. Venedig, Genua und Lucca, in einer bis zur Unkenntlichkeit veränderten Gestalt. Die Stürme der französischen Revolution haben sie noch vor Ende des letzten Jahrhunderts hinweggefegt. Nur San Marino ist bestehen geblieben, ohne daß seine Verfassung eine wesentlich andere geworden wäre, als vor 600 Jahren.
In der That waren die Verhältnisse, unter deuen jene Städterepubliken des italienischen Mittelalters bestanden, seltsam verwickelte. Zunächst breiteten die oberste weltliche und geistliche Macht, breiteten Kaiser und Papst ihr Netz über die bewohnte Welt und nahmen, jede für sich, Dienst und Gehorsam in Anspruch. Daneben ober waren die dienenden Glieder der einen wie der andern Macht, waren Bischof und Graf oder Herzog, zu selbstständigcr Herrschaft gediehen, welcher sie in engeren Kreisen das gesammte Land unterzuordnen trachteten. Endlich eroberten zahlreiche Ritter von ihren Burgen aus ein sich immer weiter erstreckendes Gebiet, dem oft genug auch Städte mit unterworfen wurden. Später siedelten die Burgherren sich in der Stadt, die ein behaglicheres Leben bot, an, und binnen kurzem pflegte der ritterliche Neubürger die Zügel des städtischen Regiments an sich gerissen zu haben. Gegen solche Anmaßung des Adels war eine Abwehr kaum anders zu finden, als in der wildesten Demokratie, in welche wir denn auch eine große Zahl italienischer Städte verfallen sehen.
Zwischen allen diesen Klippen ist nun San Marino mit merkwürdigem Glücke hindurchgesteuert.
Während eines Jahrhunderts und länger sind es die Bischöse von San Leo, die unermüdlich Ansprüche aus diese Felsenburg geltend machen, und,