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strebungen der Gegenwart ernste Bedenken vor der Uberle 6<z onsrltv, welche die Vertheidiger des Gesetzes im Munde führten, und so bot sie auf der Tribüne wie in der Presse alle ihre Mittel zur Bekämpfung der Sache auf. Ihre Ansicht überwog allmälig im Lande, ein großer Umschwung der öffentlichen Meinung erfolgte, und mit diesem Umschwung trat jener Gegensatz zwischen der verfassungsmäßigen Autorität der Kammern und der gesetzlos sich kundgebenden Souveränetät des Volkes hervor, der daS belgische Staatswesen auf einige Tage mit Zerrüttung bedrohte. Die Besonnenheit und der Takt des Monarchen fand die vermittelnde Formel, und indem die Dcputirlen vorläufig nach Hause gesandt wurden, endete der erste Act des Dramaö.
Damit war das verdächtige Gesetz aber nicht beseitigt, seine Berathung nur verschoben, die Aufregung im Lande nur von weiteren gewaltsamen Ausbrüchen abgehalten, nicht vollkommen beschwichtigt. ES war fast mit Gewißheit vorauszusehen, daß die öffentliche Meinung auf der Bahn, in welche sie die Debatten über das Wvhlthätigkeitsgesetz gebracht, nicht eher ihren Nnhepunkt finden, die Thätigkeit der liberalen Partei, welche hier Gelegenheit sah, die in Folge der allgemeinen Reaction verlorene Stellung am Staatsruder wiederzugewinnen, nicht eher nachlassen würde, bis der Umschwung der Dinge durch ein neues Ministerium und eine neue Kammer seine gesetzliche Sanction und Ausprägung erhalten hätte. Den Anstoß hierzu gaben die Gemeinderathswahlen, welche im vorigen Monat in ganz Belgien stattfanden und eine so große Majorität gegen die Klerikalen ergaben, daß die beiden bedeutendsten Mitglieder des Cabinets, De Decker nnd Vilain XIV., eS für angemessen hielten, den König um ihre Entlassung zu bitten. Gemäßigt in ihren Gesinnungen, Männer deS rechten Centrums, waren sie ihrer eignen Partei, den Klerikalen, nicht weit genug, den Liberalen zu weit gegangen und so von Anfang an, vorzüglich aber seil Vertagung der Kammern, in einer schwierigen Stellung gewesen. Jetzt wurde diese Stellung unhaltbar, unhaltbar wenigstens für Politiker, die abgesehen von ihrer sonstigen Parteifarbe, aufrichtig konstitutionell gesinnt waren. Die Communalwcchlen waren ein deutliches Zeichen der Stimmung, welche das „Klostergesetz", „Kapuzinergesetz," wie das Volk das Wohlthätlgkeitögesetz nannte, im Lande hervorgerufen. ES wäre dem Cabinet beim Widerzusammentritt der Kammern nur die Wahl geblieben, sich entweder im Widerspruch mit seiner eignen Partei zu erhalten oder das verhaßte Gesetz mit Anwendung des Belagerungszustandes zur Anerkennung zu bringen. Das eine wollten, das andere wollten und konnten sie nicht. Zwangsmaßregeln der gedachten Art hätte der König nicht zugegeben, auch wären sie unter den obwaltenden Umständen nur mit fremder d. h. französischer Hilfe durchzusetzen gewesen. Der König nahm bei so bewandten Verhältnissen das Entlassungögesuch deö Ministeriums ohne Zögern an. Indeß erhob