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der Absicht, den Leidenschaften der Massen eine Richtung zn geben, in der sie ohne Gefahr für den Thron austoben konnten. Mochte Nero oder Marc Aurel die Welt beherrschen, mochte das Reich ruhig oder von Aufruhr und Bürgerkrieg zerrüttet sein, die Barbaren sich über die Grenzen ergießen, oder von den römischen Heeren zurückgetrieben werden, zu Rom war für Hohe und Niedrige, Freie und Sklaven, Männer und Frauen, die Frage, ob die Blauen oder Grünen siegen würden, immer von derselben Wichtigkeit und der Gegenstand unzähliger Gespräche, Streitigkeiten und Wetten. Das Christenthum entthronte die alten Götter, denen zu Ehren die Circusspicle waren gefeiert worden, die Völkerwanderung wälzte sich über das römische Reich und schlug es in Trümmer, aber zu Rom kämpften die Parteien noch immer mit der alten Leidenschaft um den Vorrang im Circus. Auch die Christen ließen sich durch die Ermahnungen ihrer Prediger nicht von dem Besuch des Schauspiels zurückhalten. Sie wandten ein, daß man die Ergötzlichkeite», die Gottes Güte gewährt habe, nicht verschmähen dürfe, ja sie beriefen sich auf die heilige Schrift und führten an, Elias sei auf einem Wagen gen Himmel gefahren, folglich könne die Knnst des Wagenlenkens nicht sündhaft sein und dgl. Vollends als die heidnischen 'Gebräuche des Circus abgeschafft, namentlich die Götterbilder und kleinen Kapellen aus der Bahn entfernt waren und die Processtonen von Götterbildern, mit denen die Spiele eingeleitet wurden, aufgehört hatten, da fanden die strengen Geistlichen, die noch immer die Theilnahme an diesen Lustbarkeiten für sündlich erklärten, wol bei den wenigsten Anklang. Im sechsten Jahrhundert schilderte Casstodor, der Secretär des Gvthentonigs Theoderich, das Treiben der Rennbahn noch ganz so wie wir es aus den Schriftstellern der frühern Kaiserzeit kennen. Gewann der Grüne den Vorsprung, so trauerte die eine Hälfte des Volks, war eö der Blaue, so war die andere niedergeschlagen. Hader, Zwietracht und blutige Auftritte waren die unvermeidliche Folge dieser Parteiungen. Zur Kulmination gelangte übrigens das Factioneuwesen bekanntlich nicht in Rom, sondern in Konstantinopel, nachdem durch den Beitritt der beiden schwächer!! Parteien (weiß und roth) zu den beiden stärkern (grün und blau) das Parteiinteresse sich auf diese letztern concentrirt hatte. Hier nahm die Parteispaltung einen religiösen und politischen Charakter an, und bildete sich zu einer Art von epidemischer Krankheit aus, die dem gesammten StaalsorgciniSmus Gefahr drohte. Der sogenannte Nikaaufruhr, der im Jahr S32 im Circuö von Konstantinopel entbrannte, hätte Justinian Thron und Leben gekostet, wäre er nicht durch die Geistesgegenwart seiner Gemahlin Theodvra und durch BelisarS Treue gerettet worden, dreißigtausend Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein- Wie oben bemerkt, hatten auch die Kaiser an der Absorbirung der Interessen durch den Circus ein wesentliches Interesse. Das berühmte xanem et