357
kein Ausdruck der höchsten Staatsweisheit, keine Partei hält ihn dafür, aber er ist doch ein wesentlicher Fortschritt gegen den Wahlmodus der Provinzial- stände und hat als vermittelnder Uebergang zur Bildung einer parlamentarischen Gentry (um diesen Ausdruck beizubehalten) einigen Sinn. Der schroffe Gegensatz, den die Nationalversammlung von -1848 gegen die bisherigen Zustände Preußens bildete, konnte zu keinem gedeihlichen Resultat führen.
Gewiß ist es ein Unglück für Preußen gewesen, daß man die Bildung korporativer Verbände im liberalen Sinn, mit der man 1808 einen so gedeihlichen Anfang machte, später wieder fallen ließ. Gewiß ist es, daß man wieder dazu zurückkehren muß, wenn die Verfassung einen festen Boden gewinnen soll; 'N diesem Augenblick aber müssen wir noch der natürlichen Gegenwirkung Rechnung tragen > die das Uebermaß der Demokratisirung in den Plänen der Gemeindeordnung aus dem Jahr 1848 nach sich gezogen hat. Die Schöpfungen, d>e von der äußersten Rechten influirt werden, von jener Partei, die nach ihrer eignen Erklärung aus eine Jmmobilisirung des Capitals ausgeht, sind Zwar für den Augenblick störend genug, sie dürfen aber für die Zukunft keine Besorgniß einflößen, denn sie sind nur für die Presse, nicht für das praktische Leben gedacht, und was die Hauptsache ist, auf eine allmälige Bildung corpo- rativer Verbände ist innerhalb der constitutionellen Verfassung eher zu rechnen, als nach Aufhebung derselben.
Gewiß ist die Verfassung, die wir haben, sehr unvollkommen; es wird sich nun zeigen, ob das Volk, alle Classen mit einbegriffen, elastisch und standhaft genug ist, diese Unvollkommenheiten, mit der jede Verfassung anfängt, zu erganzen, ob in dem Adel der Patriotismus über das ständische Sonderinteresse, °b in dem Bürgerthum der ideale Sinn über die materiellen Gesichtspunkte Herr wird. Ein Prophet kann man hier nicht sein, zumal vieles von äußern Umständen abhängt. Preußen ist kein Staat für sich wie England, es ist ein integrirender Theil des deutschen Bundes. Wenn hier seine Heerverfassung einen wichtigen Druck ausübt, so kann man das von seinem parlamentarischen Leben nicht minder behaupten, und die Art und Weise, wie die Negierung sich zu den übrigen Bundesgliedcrn stellt, wird auch für das innere Leben des Staats maßgebend sein. Auf alle Fälle ist auch hier die Verfassung für eine kräftige Negierung, die ihre Aufgabe versteht, eine brauchbare Waffe «ach außen hin, für eine thörichte Regierung ein Hemmschuh.
Es ist merkwürdig, daß wir einem Schriftsteller, dem wir fast in allen Punkten die reichste Belehrung verdanken, und der nicht nur mit tiefem Studium, sondern auch,mit warmer Liebe zur Sache an sein Werk gegangen ist, in der Hauptsache so entschieden widersprechen müssen, ja wir möchten an ihm denselben Fehler hervorheben, den er an seinen Gegnern rügt. Er tadelt diese, daß sie die englische Verfassung aus Verhältnisse anwenden wollen, die den Grenzboten. II. 18ö7. 33