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Der Tannhäuser in Berlin.
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stehen, obgleich die Kuhglocken bei der berliner Aufführung wegblieben. Hier, wo es einmal nöthig war, scharf und bestimmt zu declamiren, unterläßt Wag­ner die Declamation ganz und gibt uns eine musikalische Caprice über ein Volkslied, die an sich sehr schülerhast ausfällt und die dem dramatischen Zwecke widerspricht. Der wohlthuende Eindruck des allmcilig herankommenden Pilger­liedes ist überall nach Gebühr gewürdigt worden, wenn man auch mit Recht gewünscht hätte, daß die zweite Auflage der Ouvertüre nicht so schnell auf die erste folgen möchte.

Wagner hat das Bestreben, die einzelnen Scenen, die sonst als abge­sonderte Musikstücke behandelt werden, zu einer künstlerischen Einheit zu ver­flechten, aber er wendet dazu ein sonderbares Mittel an, er läßt nämlich ab­gerissene Theile des Folgenden in das Vorhergehende hineinklingen; so verbindet er das Hirtenlied mit dem Pilgergesang durch das über alle Be­schreibung lächerliche Schalmeiduett, den Pilgergcsang mit dem Finale durch eingestreute Hornsignale, Von denen bei der ersten Aufführung niemand begreift, was sie vorstellen sollen; bei der zweiten Aufführung weiß man es, und freut sich dieses Wissens, aber das ist doch eine ziemlich kindische Freude.

Ich habe mich bei der Maschinerie des ersten Acts länger aufgehalten, weil hier anscheinend das Meiste geleistet ist. Man sieht, daß trotzdem noch sehr viel zu wünschen übrigbleibt. Nun ist zwar trotz aller dieser Aussteb lungen das wagnersche Textbuch viel geschickter arrangirt, als die meisten andern Textbücher, aber bei den andern wird auch auf diese Äußerlichkeiten kein so großes Gewicht gelegt, sie dienen nur als gleichgiltiger Nahmen sür den musikalischen Inhalt, der uns sür die dramatischen Schwächen entschä­digen muß. Einen solchen Ersatz bietet uns der Tannhäuser nicht; selbst die leidenschaftlichen Wagnerianer gestehen zu, daß, wenn man die Oper im Clavierauszuge durchnimmt, die Ausbeute sehr gering ist.

Daß der zweite Act ungenügend ist, gibt alle Welt zu. Hier kam es grade darauf an, musikalisch die größte Kraft zu entwickeln, denn die feind­lichen Principien finden sich in unmittelbarer Gegenwart, und es muß sich entscheiden, welches von ihnen das andere überwindet. Leider ist nur die Ein­leitung in großer Breite ausgeführt, der Sängerkrieg selbst ist höchst ober­flächlich abgefertigt. Daß die mit so großem Aufwand scenischer Mittel eingeführten Kampfrichter den Tannhäuser mit seinem Gassenhauer durchfallen lassen, ist recht und billig, aber es wird den andern Preisbewerbern auch gar zu leicht gemacht. Der Preisgcsang des Herrn Wolfram ist zwar in seiner Melodie ziemlich barock und verschroben, aber eine mystische Tiefe ist darin nicht zu finden, und er verhält sich zu einem Volksliede ungefähr wie das meyerbeersche Wiedertänferlied zu seinem Originale, nur daß sich Meyerbeer damit- entschuldigen kann, in seiner verwilderten Melodie absichtlich den wüsten