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Correspondenzen.
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SIS

daß das dankbare Europa, dem man die Leiden des Krieges durch die eignen Opfer erspart, den Bemühungen des Occidents sich anschließen werde.

Man kann von Uebermacht auch in einem andern Sinne heutzutage in nicht weniger bedeutungsvoller Beziehung sprechen. Wir hatten die letzten Jahre hin­durch mit Hindernissen jeder Art zu kämpfen. Die Alimentativnskrise drohte die Zustände auf bedenkliche Weise zu compliciren und doch sollte das Land in dem industriellen Aufschwünge erhalten werden. Ihr Briefsteller hatte noch vor Aus­bruch des Krieges in diesen Blättern die Behauptung aufgestellt, daß Napoleon die Ausgabe durchzuführen suchen werde, im Innern der Industrie und dem Handel einen neuen Impuls zu geben, während die französischen Waffen achthundert Meilen vom Vaterlande Frankreichs auswärtigen Eiufluß wieder geltend zu machen übernehmen.

Daß dies so über alle Erwartung gelingen konnte, darin liegt die Uebermacht des Westens, welche Rußland und dessen Anhänger zum Bewußtsein der Täuschun­gen bringen, in welche man sich über die Bedeutung dieser Macht gewiegt hatte.

Die Art und Weise, wie der Krieg geführt wurde, beweist, daß die Nüssen trotz aller Tapferkeit ihrer Truppen, trotz aller Energie ihrer Führer, nichts gegen den Westen vermögen. Der Fall von Sebastopol hat zu Tage gefördert, daß selbst traditionelle Hoffnungen, vieljährige Uebergriffe, oft gelungene Handstreiche nicht hinreichen, eine Sendung zu rechtfertigen, welche blos im Ehrgeize der Herrscher ihre Kraft sucht. Nußland hat den Proceß übersehen, welcher in dem Bildungs- zustande der europäischen Nationen vor sich gegangen war, den Umschwung, welchen die öffentliche Meinung erlitten hatte. Es war dadurch nicht zur vollen Einsicht des Widerspruchs gelangt, der zwischen den Anmaßungen der russischen Politik ent­stehen mußte und den Mitteln, über welche sie verfügen konnte.

Die russische Politik ließ sich durch die anscheinende Wiederherstellung der abso­luten Systeme in Europa täuschen und vergaß darüber, daß bei dem Zwiespalts dieser Zustände mit den Bestrebungen der Epoche und mit der öffentlichen Mei­nung das System keine ausreichende Bürgschaft für die Ausführung von Plänen bieten könne, welche dem Interesse wie der Anschauung der gebildeten Nationen Europas gleich zuwider sind.

Der Fall Sebastopols, indem er die falsche Stellung Nußlands an den Tag fördert, führt uns zugleich in eine neue Phase der europäischen Politik hinüber. Nach allen Thatsachen und Berichten, welche hier vorliegen, werden sich die Russen in der Krim nicht halten, muß diese über kurz oder lang von den Alliirten erobert werden. Hiermit ist aber Nußlands Macht noch lange nicht gebrochen und wenn dieses sowenig wie bisher zur Nachgiebigkeit geneigt ist, wird der Krieg fortgesetzt werden. Es fragt sich nur, ob die Westmächte sich berufen fühlen bei ihrer bis­herigen Politik zu verharren?

Nach allem, was wir aus unzweifelhaften Quellen erfahren, ist dies nicht der' Fall. Für den Journalisten ist es oft eine Gefahr, zu gut unterrichtet zu sein, weil er dadurch iu die Lage kommt, zuweilen von Unterhandlungen und Projecten als von wahrscheinlichen Eventualitäten zu berichten, die durch Veränderung von Umständen und Verhältnissen wieder wegfallen. Dies zugegeben müssen wir be­haupten, daß wir dem Punkte nahe stehen, wo das vsficiell eingestandene Programm des Krieges vor dem wirklichen zurücktreten muß. Bald wird der Westen in