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Der Grundbesitz und die Leibeignen in Rußland.
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Scheremetjeff, der sich mit einem Obrok (Entschädigung für den Frohndienst) von wenigen Rubeln begnügt, aber um keinen Preis einem derselben seine Freiheit geben will. Er ist stolz, so reiche Leibeigne zu besitzen, über die er eine Macht ausübt, deren Ausübung, wenn jemals die Ideen des Westens in Rußland über die Oberfläche eindringen sollten, das ganze sociale Gebäude über den Haufen werfen muß. Die St. Petersburger Millionäre sind ihrer Geburt nach bloße Bauern und immer noch verpflichtet, auf den Gütern ihres Herrn die Troika oder drei Tage Frohnarbeit in jeder Woche zu leisten. Zeigt ein Bauernknabe besondere Anlagen zu einem Gewerbe, das sich mit Gewinn in einer Stadt betreiben läßt, so wird er zu einem Meister in die Lehre ge­schickt und muß dann sehen, wie er auf eigne Faust durch die Welt kommt. Wenn es ihm nicht gelingt, so fällt natürlich der Verlust auf den Herrn, der einen ganz nutzlosen Leibeignen in seinem heimathlichen Dorfe erhalten muß; kommt er aber fort, so erhält der Grundherr eine gute Entschädigung für seine erste Kapitalanlage in dem Obrok, dessen Betrag habgierige oder geldbedürs- tige Herrn mit dem zunehmenden Wohlstand des Leibeignen zu erhöhen pflegen. Die Maschinerie, durch welche dieses Recht ausgeübt wird, ist interessant, weil sie eine Einsicht in das ganze politische System Rußlands gewährt. Der Leib­eigne muß überall, wo er sich niederläßt, einen Paß von seinem Herrn vor­zeigen und dieser Paß muß alljährlich und manchmal alle sechs Monate er­neuert werden. Durch Nichtgewährung des Passes kann daher der Grundherr jederzeit den Leibeignen zwingen, in sein heimathliches Dorf zurückzukehren, und so sorglich sieht man aus die Aufrechthaltung dieser Macht, daß nicht nur die Polizeibehörde jeder Stadt verpflichtet ist, darauf zu achten, daß jeder Ein­wohner im Besitz der nöthigen Aufenthaltserlaubnis) ist, sondern daß auch jeder Arbeitsgeber für seine Arbeiter und seine Dienerschaft stehen muß und Sorge zu tragen hat, daß ihre Püffe in bester Ordnung sind. Sollte ein zukünftiger Erbe des Grafen Scheremetjeff, entweder um seine Einnahme zu erhöhen oder aus einem persönlichen Beweggrund oder auch aus bloßer Laune, für gut finden, von seinem grundherrlichen Rechte Gebrauch zu machen und seinen reichen Leibeignen in der Hauptstadt die Püffe zu verweigern, so wären sie ge­zwungen, ihre schönen Häuser in der Stadt zu verlassen, ihre luxuriöse Lebensweise aufzugeben und sie mit den elenden Hütten, der mühsamen Feld­arbeit auf dem Lande zu vertauschen. Natürlich wird schon Rücksicht auf das eigne Interesse den Grundherrn von einem solchen äußersten Schritte abhalten; aber das Psund Fleisch kann genommen werden, wenn ein Shylock vorhanden ist, der darauf besteht und es ist klar, daß unter solchen Verhältnissen Geiz und Tyrannei freies Spiel haben.

Andern Gefahren sind die Leibeignen auf dem Lande ausgesetzt. Die Hütte, welche sich der Bauer mit Holz aus seines Grundherrn Waldungen