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Meisterung zuletzt zu stark. Als sich Jen» Paul um eine Präbende bewarb, wurde sie ihm nicht bewilligt und der König äußerte: „Höre denn doch zu viel diesen Jean Paul herausstreichen. Wie will man erst von einem großen Staatsmann sprechen oder von einem Helden? Die Damen verstehen immer das Maßhalten nicht/") ^_
Der Roman wurde in vier Bänden Ostern 1800 bis Ostern 1803 vollendet, Jean Paul hatte fast zehn Jahre daran gearbeitet, oder wenn man will, daran gelebt. Angeregt durch Jacob! Allwills, schrieb er 1792 Studien über das verirrte Genie, über den Schwächling, der durch absichtliche Phautasie- schwelgerei moralisch und physisch sich selbst übertäubt und zerstört. Roquairol war der erste Held seiner Dichtung. Als Gegensatz wurde ihm im Albano ein hoher Mensch gegenübergestellt, und der Siebenkäs oder Leibgebcr-Schoppe fand sich von selbst dazu.
Die Reise nach Weimar sollte die Farben geben, mit denen er seine Skizze ausfüllen wollte. Er begann die Ausarbeitung 1798, ohne das Ganze zu übersehen, ohne die Lösung der organischen Punkte gefunden zu haben. Nun blieben von den ursprünglichen Entwürfen zahlreiche Reste, die zu der späteren Entwicklung nicht stimmen wollten. Hätte er sich nicht zu sehr von den einzelnen empirischen Eindrücken in die Irre führen lassen, hätte er die ursprüngliche Tendenz festgehalten, die Berderblichkeit des subjectivcn Phantasielebens (in Roquairol und Linda) nachzuweisen, so würde der Roman eine bedeutendere Stelle in unsrer Entwicklung einnehmen. Freilich konnte es ihm, der selbst im Phantasieleben befangen war, nicht gegeben sein, dasselbe mit kritischem Ernst aufzulösen. Wie der Roman jetzt vor uns liegt, steht er dem „Wilhelm Meister" zur Seite, Er zeigt einen ebenso lebhaften und allseitigen Bildungs- trieb, eine ebenso unfertige geschichtliche Auffassung, Der Trotzkopf Albano fügt sich dem Gegebenen, wie der bescheidene und empfängliche Wilhelm Meister; aber die Welt, deren Gesetzen er sich fügt, ist im Grunde ebenso hohl und trostlos, als die unsichtbare Loge, die den strebsamen Kaufmannssohn empfängt
Für seine Stellung zur Literatur wurde der Aufenthalt in Berlin sehr
') Die Frauen, sagt Henriettc Herz, wußten es ihm Dank, daß er sich in seinen Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigt nnd bis in die tiefsten Falten ihres Kcmnths zu dringe» gesucht hatte; hauptsächlich aber dankten es ihm die vornehmen Damen, daß er sie loviel bedeutender nud idealer darstellte, als sie in der That waren, Dieö hatte seinen Grund barin, daß, als er zuerst Frauen der höhcru Stände schilderte, er noch gar keine kannte nnd einer reichen und wvhlwvlleudcu Einbildnngökraft freien Spielraum ließ, diejenigen ans diejeu Classen jedoch, welche er später keuucu lernte, alles anwendeten, nm die ihueu schmeichelhafte Tänschnng in ihm zn erhalten nnd ihm möglichst ideal zu erscheinen. So hat er die Franen der lwheru Stände, sopicle er deren auch später sah, eigentlich niemals kennen gelernt, ja diejenigen, deren Bekanntschaft er machte, iu gewisser Beziehung immer falsch beurtheilt.