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Blätter und Briefe eines Arztes aus dem tropischen Deutschafrika / von Ludwig Külz
Entstehung
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Er schwärmt bei jeder Gelegenheit von der guten alten Zeit, so wie sie damals war, als er herauskam. Gewisse Aeußerlichkeiten geben ihm ein schein­bares Recht dazu, denn das Huhn kostete tatsächlich anno dazumal nur 20 Pfennig, für eine leere Blechbüchse bekam man wie noch heute im Busch ein halb Dutzend Eier eingetauscht, ganze Landstrecken konnte man gegen eine Flasche Schnaps von den Eingeborenen in Kauf oder Pacht nehmen. Natürlich pocht er auf die Länge seiner Erfahrungen, und in die Dauer seiner Tropen­dienstzeit rechnet er gewissenhaft den gesamten Urlaub in Deutschland mit hinein, und jedes angefangene Tropenjahr wird selbstverständlich als voll gezählt. Jeder Afrikaner hat auch auf Grund seiner ausgiebigen Kenntnis von Land und Leuten ein unfehlbares System, die Kolonie zu reformieren, reorganisieren und einer blühenden Zukunft entgegenzuführen. Bei jeder passenden Gelegenheit weiß er sein Kulturprogramm in fließender Rede zu entwickeln. Dabei kommt es ihm nicht immer darauf an, Pläne, die gar nicht von ihm stammen, als eigene Prägung auszugeben. Häufig ist der alte Afrikaner nur wenige Stunden über den Küstenbezirk hinausgekommen. Dies hindert ihn natürlich nicht, über die Verhältnisse des Hinterlandes völlig unterrichtet zu sein. Ueberhaupt zeichnet er sich durch große Vielseitigkeit seiner Talente aus. Daß er gerade sein Berufsfach allein am allerbesten versteht, daß er unersetzlich ist, und daß keiner seiner Stellvertreter oder Nachfolger es ihm gleichtun kann, ist selbstverständlich; und hat ihm in seiner Abwesenheit etwa einer durch eine Neuerung ins Hand­werk gepfuscht, so ist es bei seiner Rückkehr das erste, daß diese rückgängig gemacht wird. Auch über jedes andere Thema, über das mitzusprechen ihm in der Heimat vielleicht ein leises Lächeln der Kenner eintragen würde, weiß er vollkommen Bescheid und ist höchst entrüstet, eine abweichende Meinung ver­treten zu sehen. Er wird ohne weiteres einen geschlossenen Vortrag darüber halten, wie unfehlbar der Gummiexport sich in kurzem verzehnfachen läßt, wie die Surrahkrankheit der Pferde und die Malaria der Menschen sicher auszurotten sind, rc. An letzterer leidet er übrigens niemals, denn dem echten, alten Afrikaner darf auch das Klima nichts anhaben, selbst wenn er alle Monate einige Tage auf der Nase liegt. Kurz, er ist nicht nur vielseitig, sondern allseitig beschlagen und ist ganz erstaunt, daß sein genialer Gedankengang nicht schon längst von maßgebender Stelle angenommen wurde, sodaß endlich die goldene Morgenröte des Schutzgebietes emporsteigt. Abweichende Ansichten vertreten zu sehen, ärgert ihn; Widerspruch ist dasjenige Mittel, mit dem er am fürchterlichsten gereizt werden kann, und besonders dann, wenn die Opposition von einem stammt, der vielleicht einige Monate nach ihm in die Kolonie kam. Das ist ein Kapitalverbrechen. Ganz selbstverständlich ist es, daß gerade das­jenige Ressort, dem er angehört, das Wichtigste des ganzen Schutzgebietes ist, und daß mit seinem Gedeihen oder Nichtgedeihen die Kolonie steht oder fällt. Das Wortich" habe das und das getan,ich" habe es bereits damals vor­ausgesagt,ich" habe schon längst davor gewarnt, gehört in das stehende Programm des alten Afrikaners. Zu seinen allgemeinen charakteristischen Merk­malen gehört ferner eine wohlausgebildete Eigenschaft: er muß auf alles, was die Regierung tut, schimpfen. Das gehört nicht nur zu seinem seelischen, sondern auch zu seinem körperlichen Wohlbefinden, das hat er so nötig, wie die Blume die Sonne oder die Pflanze den Morgentau. Und treffen sich zwei alte Afrikaner nach längerer Trennung in der Kolonie, oder einer Berliner Wein­stube wieder, so kann man sicher sein, der erste Abend wird beim Trunke mit zweierlei Dingen verbracht: sich ordentlich auszuschimpfen und sich gegenseitig tüchtig etwas vor zu renommieren. Es wird von den gegenseitigen Erlebnissen erzählt, von Verwaltungsschwierigkeiten der einzelnen Bezirke, von Leoparden-, Büffel- und Elefantenjagd. Wehe, wenn er bei Besetzung einer Stelle, auf die er vielleicht entfernt Anspruch zu haben glaubte, nicht berücksichtigt wurde.