Geschichte.
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Was drittens die West-Schweiz anlangt, so siedelte Aetius, um die Eingänge ins lugdunensische Gallien und die Walliser Pässe nach Italien gegen die Alemannen zu decken, 443 die Burgunden in Savoien, wo das römische Wesen vollkommen festen Fuß gefaßt hatte, als Bundesgenossen an. Die Burgunden waren schon Christen, teilten mit den romanisierten Kelten und den Römern in der Westschweiz Haus und Hos, Wald, Weide und Acker und verschmolzen mit ihnen. Das romanische Wesen des Verschmelzungsproduktes schob sich wahrscheinlich bis an die Aare und ins ganze Wallis vor, also weiter nach Osten, als heute die Sprachgrenze verläuft. Auch die Langobarden, die nach ihrer Besitzergreifung Ober-Italiens (568), wie urkundlich nachweisbar ist, häufig einwanderten, haben das Wallis nicht germanisiert, vielmehr verfielen sie ebenso rasch der Romani- sierung wie die Burgunden.
Dagegen strahlte seit dem 12. Jahrhundert eine starke alemannische Auswanderung vom Wallis aus, deren Reste wir noch heute in Venetien und Piemont am Südabhange der Alpen (siehe unter „Italien"), sowie in Graubünden und den angrenzenden Landschaften bis nach Vorarlberg hinein finden. Ueber sie wird unten in einem besonderen Abschnitt (S. 108) gehandelt werden.
Verfolgen wir jetzt die geschichtliche Entwickelung der heutigen Schweiz. Im
12. Jahrhundert begünstigten die Herzöge von Zähringen, die Reichsvögte von Zürich waren, das Städtewesen und gründeten 1178 Freiburg und 1191 Bern. Nach ihrem Aussterben strebten die Grasen von Habs bürg, die zugleich Landgrafen vom Aar-, Zürich- und Thurgau waren, nach der Landeshoheit, doch fanden die Waldstätte Uri, Schwuz und Unterm ald en gegen sie eine Stütze an den Hohen- staufen, welche wegen der Bedeutung der drei Urkantone sür den im Anfang des
13. Jahrhunderts eröffneten Gotthardpaß deren Reichsunmittelbarkeit in verschiedenen Freiheitsbriefen ausdrücklich feststellten. Zum Schutze derselben schlössen dieWaldstätte ein Bündnis gegen dieHabsburger(etwa1260),das 1291 nach Rudolfl. Tode erneuert wurde. In den folgenden Kämpfen um den deutschen Thron standen die Kantone natürlich aus Seiten der Gegner Habsburgs und brachten dem stattlichen Ritterheere Herzog Leopolds bei Morgarten 1315 eine blutige Niederlage bei. Der hieraus am 9. Dezember 1315 zu Brunnen geschlossene „Ewige Bund" begründete die Schweizerische Eidgenossenschaft. Rasch erweiterte sie sich durch den Beitritt von Luzern 1332, Zürich, Glarus, Zug und Bern (1351—53) zum Bund der sogen, acht alten Orte und erstarkte in serneren scharfen Kämpfen um die von allen Seiten bedrohte Freiheit: bei Sempach 1386 und bei Näfels 1388 werden nochmals österreichische Angriffe erfolgreich abgewiesen, bei St. Jakob an der Birs in der Nähe von Basel 1444 fallen 1500 Schweizer gegen die sogen. Armagnaken des sranzösischen Dauphin, die Friedrich III. herbeigerufen hatte, bei Ragaz werden zwei Jahre später wieder die Oesterreicher zurückgeschlagen, die glänzenden Siege bei Granson und Murten 1476 wenden die von dem mächtigen Burgundenherzog Karl dem Kühnen drohende Gefahr ab, und in den Jahren 1481 bis 1513 treten wieder fünf neue Kantone der Eidgenossenschaft bei: Freiburg, Solothurn, Basel, Schaffhausen, Appenzell. Unter diesen Umständen betrachteten sich die Eidgenossen als unabhängiges Staatswesen und wurden auch von den übrigen Mächten als solches angesehen. Daher versuchte Kaiser Maximilian vergeblich, seine Oberhoheit nochmals geltend zu machen, und mußte nach den Niederlagen im sog. Schwabenoder Schweizerkrieg im Frieden von Basel 1499 in die tatsächliche Lostrennung der Schweiz vom Deutschen Reiche willigen. Aber wie eng man sich auch damals noch mit demselben verbunden fühlte, beweist unter andern das Schreiben, welches die Tagsatzuug 1519, drei Jahre nach Abschluß des ewigeu Friedens mit König Franz I., bei Anlaß der Wahl Kaiser Karls V. an die Kurfürsten erließ: „Gemeine Eidgenossenschaft möge und könne nicht erleiden.