XXII
Einleitung.
Herzogtümer auck politisch mit Deutschland verknüpft, beinahe für ein Außenland deutscher Literatur uud Bilduug angesehen werden. Und im 19. Jahrhundert haben deutsche Philosophie und Dichtung den beiden westlichen Nationen die Anregungen zurückgegeben, die sie zuvor von ihnen empfangen hatten.
Endlich hat im letzten halben Jahrhundert deutsches Wesen jenseits des Ozeans eine neue Stätte gefuuden, iu Nordamerika, wo Millionen unserer Landsleute sich selber und deutscher Sprache und Bildung eine neue Heimat gegründet haben. Nirgends vielleicht findet deutsche Sprache, deutsche Wissenschast, deutsches Geistesleben gegenwärtig außerhalb der eigeueu Grenzen so freie und dankbare Anerkennung und Würdigung als bei der großen Nation, die drüben als jüngste unter den Kulturuatioueu eutstauden ist. Vor allem dürfen die deutschen Universitäten mit stolzer uud dankbarer Freude auf die Saaten blicken, die dort aufgehn und schon zu reifen beginnen, es ist Geist von ihrem Geist, der dort gedeiht. So hat das deutsche Wesen durch Geben uud Empfangen eine Art Allgegenwart in allen Ländern der europäischen Kultur, eiue Allgegenwart, die übrigens schon beim Eintritt der Deutschen in die Geschichte zur Zeit der Völkerwanderung gleichsam vorbedeutet und vorbereitet worden ist; haben doch alle modernen Kulturvölker durch die Überschwemmung mit kriegerischen Wandervölkern germanischer Herkunft eine starke Legierung mit deutschem Blut erfahren.
Und mit dieser Allgegenwart des Deutschtums häugt nun noch eine Tatsache zusammen, die hier Erwähnung verdient, die Tatsache, daß kein Volk der Erde in solchem Umfang und in solcher Tiefe sprachliche uud geschichtliche Studien getrieben hat wie das deutsche. Die Sprache» uud Literaturen aller Völker sind von Deutschen erforscht, vielfach so, daß die Forschung in der eigenen Heimat beinahe als ein Ableger der deutschen Forschung betrachtet werden kann. Und ebenso ist die Geschichte aller Völker von Deutschen erforscht und beschrieben worden, wieder oft so, daß diese Völker selbst die deutschen Darstellungen als mustergültig anerkennen. Ein Zeugnis für die überragende Bedeutung der deutschen Wissenschaft in dieser Richtung ist es, daß Jünger der Wissenschaft aus allen Ländern auf die deutschen Universitäten ziehen, um sich hier in die philologisch-historischen Studien auf allen Gebieten einführen zu lassen.
Bildet nun die letzte Aufgabe aller historisch-philologischen Forschung, mit W. v. Humboldt zu reden, die Erkenntnis des Menschen oder der Menschheit, die in den vielen Völkern und Zeiten ihr Wesen entfaltet, stellt die Geschichte gleichsam das durch die Wissenschaft erarbeitete Selbstbewußtsein der Menschheit dar, so wäre auch hierdurch unsere Formel gerechtfertigt: Deutsche Bilduug — Menschheitsbildung.
Ist es vermessen, von hier aus in der konfessionellen Spaltung des deutschen Volks etwas wie eine Fügung der Vorsehung zu erblicken, bestimmt, diefem Volke eine Universalität auch des religiösen Lebens zu geben, wie sie kein anderes der großen Kulturvölker hat? Alle übrigen bilden in der Hauptsache auch kirchliche Einheiten. Das deutsche Volk ist durch den Unterschied der Konfessionen mitten durchgeteilt; es hat in dieser Zwiespältigkeit, so bittere Früchte ihm daraus erwachsen sind, doch auch die Voraussetzung für eine Freiheit und Innerlichkeit, eine Tiefe und Weite des religiösen Erlebens, wie sie so keinem andern Volk gegeben ist.