Einleitung.
XXI
Alle diese Elemente sind auch heute noch wirksam im deutschen Geistesleben. Ein Anzeichen dafür, daß sie dauerndes Heimatsrecht in unserer Literatur gewonnen haben, ist die Tatsache, daß unsere Groschenbibliotheken, allen voran der treffliche Reclam, neben der einheimischen Literatur eine reiche, ja überreiche Fülle von Uebersetzungen aus allen Sprachen, alten und neuen, enthalten; manche darunter, man denke an Homer oder Shakespeare, sind uns wie die unsern. Und daß wir an Aufnahmefähigkeit für Fremdes auch heute noch ein reiches Maß besitzen, das zeigt mehr noch als die Bereitwilligkeit, womit wir nach alter Gewohnheit französische Bühnenstücke übernehmen, die ungemein tiefe Wirkung, welche die nordische Dichtung in den letzten Jahrzehnten auf unsere Literatur ausgeübt hat.
Uebrigens könnte man noch auf die Tatsache hinweisen, daß das deutsche Volk in seinen Schulen sremden Sprachen in einem Umfang Ausnahme gewährt hat, wie kein anderes Volk. Die Kenntnis von zwei fremden Sprachen hat, durch die Forderung für das Einjährigenzeugnis, geradezu den Charakter eines offiziellen Merkmals höherer Bildung erlangt. Und das ist dann wieder die Ursache dafür, daß die Zahl derer, die in Deutschland fremde Sprachen lernen und verstehen, verhältnismäßig größer ist als in jedem andern Lande.
Haben wir diese Aufgeschlossenheit des deutschen Volks für fremdes Wesen lange mit gemischten Gefühlen betrachtet, auch wohl als „Ausländerei" gescholten, so dürfen wir jetzt, wo unsere politische Existenz gesichert ist, uns ihrer freuen: sie hat uns einen Reichtum an Schätzen menschlicher Geisteskultur zugeführt, wie er einzig dasteht. —
Und nun die andere Seite der Sache. Hat das deutsche Volk in einem überschwänglichen Maße die geistigen Güter der andern großen Kulturnationen aufgenommen und sich angeeignet, so hat es nicht minder, um die Sache mit einem den wirtschaftlichen Verkehr entlehnten Wort zu bezeichnen, einen Bildungsexpo rt aufzuweisen, wie er doch wohl von keinem andern Volk seit den Tagen des hellenistischen Griechentums erreicht worden ist. Vor allem nach dem Osten. Es hängt mit der Tatsache zusammen, daß das deutsche Volkstum selbst in breiten Strömen über die Grenzen des Reichs in die östliche Welt sich ergossen hat, der Ostseeküste folgend in die baltischen Länder, dem Laus der Donau folgend in die Länder des Hauses Habsburg. Die Bewohner all dieser weiten Gebiete sind durch die Vermittlung der deutschen Bildung in das europäische Kulturgebiet hineingezogen worden, das ganze 17., 18. und noch das 19. Jahrhundert hindurch sind, wie Militärs, Staatsmänner, Techniker und Handwerker, so Gelehrte, Professoren, Lehrer, Erzieher in Scharen nach dem Osten gewandert und haben deutsche Wissenschaft und Bildung und alle guten Künste angebaut. Die Folge ist, daß bis auf diesen Tag die deutsche Sprache im Osten, so wenig ihr jetzt dort vielfach Liebe und Dankbarkeit entgegengebracht wird, die unentbehrliche Vermittlerin für den geistigen Verkehr ist.
Aber auch nach den andern Richtungen hat Deutschland fruchtbarste Anregungen ausgestrahlt; so nach dem Norden, wo die skandinavischen Länder durch die Reformation in den Bannkreis deutschen Geisteslebens hineingezogen wurden. Das nachbarliche Dänemark konnte im 18. Jahrhundert, durch die deutschen