Jörg Ewersen
Der harten Schale weicher Kern: Bruchspuren an Muschelschalen aus der Bremer Altstadt des 11. bis 12. Jahrhunderts
Weichtiere sind nach den Insekten, Krebsen und Spinnen mit rund 130 000 Arten der artenreichste Tierstamm. Zu ihnen zählt die Klasse der Schnecken (Gastropoda) und die der Muscheln (Bivalvia). In diesen beiden Klassen finden sich viele Gattungen, die schon seit der Urgeschichte dem Menschen als Nahrung und Rohstoff dienen. Bei günstigen Erhaltungsbedingungen und umsichtiger Grabungstechnik können - wie in diesem Fall - Reste von Schalentieren (Mollusken) durch die Archäologie nachgewiesen werden. Mit dem Auffinden dieser Muschel- und Schneckenreste werden zugleich unzählige Informationen dokumentiert, denn Mollusken gestatten „Aussagen auf den Gebieten der Paläoökologie und der Paläozoogeographie und dienen damit der Rekonstruktion der vorgeschichtlichen Umwelt und oftmals der Datierung von Fundschichten". Andererseits leisten sie „Beiträge zur Kenntnis der Nahrungswirtschaft, Technologie, Handelsgeographie und Siedlungsgeschichte der ur- und frühgeschichtlichen Völker" (Falkner 1969, 112). Bedenkt man dabei auch, dass viele der Schalentiere ausgesprochen ortsgebundene Tiere sind, so wird schnell verständlich, welchen Wert sie auch für Aussagen über kleinklimatische Bedingungen und Kul-
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Bremen, Altstadt. Fundensemble mit Muscheln im Uferschlick des Balgeufers.
turbiotope besitzen. Selbst Veränderungen des Ökoklimas im Bereich menschlicher Ansiedlun- gen kann an den Molluskengesellschaften abgelesen werden (Ders. 1969, 121).
Solche Muschelreste (ß/Va/wä) 1 wurden im Rahmen von Baumaßnahmen in der Bremer Altstadt, Langenstraße 10-12 und 31-35, geborgen (Abb. 1). Aus sozialökonomischer Sicht stammen diese Funde aus einer Straße, die vorzugsweise von reichen Kaufleuten bewohnt wurde. Unter den 52 Resten mit einem Gesamtgewicht von 181 g (Küchelmann, 27) befindet sich die linke Klappe einer Miesmuschel (Mytilus edulis L. 1758). Weitere 28 Schalen oder Schalenbruchstücke gehören der Art Unio crassus Phil. 1788 (Gemeine Flussmuschel) an, zwei stammen von Unio plcto- rum L. 1758 (Gemeine Malermuschel), drei weitere von Unio tumidus Phil. 1788 (Aufgeblasene Flussmuschel), 18 Stücke konnten nur noch als Fluss- oder Teichmuschel (Unionidae - Najaden) bestimmt werden. Alle Schalen und Schalenfragmente datieren in die Zeit vom 11. bis 12. Jh. 2
Bei den Najaden, die ihren Namen nach antiken Quell- und Flussgöttinnen tragen und die für die Reinheit des Wassers bürgen, handelt es sich um mittelgroße bis große Süßwassermuscheln mit einer glänzenden, porzellanweißen bis rötlich-violett schimmernden Perlmuttschicht auf der Innenseite der Schalenhälften. Von außen sind die Muscheln meist schwarz- bis gelbbraun oder grünlich. Auf der Oberfläche der Schalen sind oftmals die Zuwachszonen erkennbar. Wohl den größten Teil der Najaden-Arten bildet die Familie der Flussmuscheln (Unionidae), die über fast alle Erdteile verbreitet ist. Zu ihr gehören auch die in Europa beheimatete Gemeine Flussmuschel, die Aufgeblasene Flussmuschel, wie auch die Gemeine Malermuschel. Eine eigene Familie bilden die Flussperlmuscheln (Margaritiferidae), die mit vier Gattungen und sieben Arten über Eurasien und Nordamerika verbreitet sind.
1 Ich danke an dieser Stelle Herrn Dr. Dieter Bischop und Hans Christian Küchelmann für die freundliche Überlassung des Fundmaterials.
2 Freundl. schriftl. Mitt. H. Chr. Küchelmann.
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