Donnerstag, den 17. Angust 1939
Bremer Zeitung
Nr. 228 Jahrgang 18Ag
Kur eure Ustze/;r«,.
„Ihre Katze, Frau Fredrichsen? Wenn's weiter nichts ist! Wird gemacht. Ich komme gleich rüder,"
„Danke, Welibrvck", sagte die Dame leise. Aber an der graste Dielentür zögerte sie. Der Bauer Wellbrock sah ein Zucken in dem zarten Frauengesicht, Sanfte Augen blickten ihn flehend an,
„Nicht wahr, Wellbrock, Sie treffen sie doch gut? Wir hängen alle so sehr an dem Tier, Wenn sie nicht so krank wäre —"
Sein gutmütiges Männerlachen unterbrach die äugst-, liche Frauenstimme. Mitleid und Ueberlegenheit spiegelten sich auf seinen derben Zügen. „Verlassen Sie sich ruhig auf mich, Frau Fredrichsen, schließlich war ich ja im letzten Jahr Schützenkönig", setzte er breiten Mundes hinzu,
„Ist ia wahr," erinnerte sie sich und lächelte, schwach,
„Was schon dabei ist, eine Katze zu erledigen," brummte er vor sich hin, als er die Büchse aus dem Kleiderschrank holte, „So sind die Leute, die aus der Stadt stammen," meinte er zu seiner Frau," stellen sich mit einer unvernünftigen Kreatur an, als wäre es ein Mensch, Der reine Götzendienst! N' Katt is n' Katt, sage ich! Gibt sowieso zuviel von diese Viechern auf der Welt,"
Er steckte die Patrone in den Büchsenlauf und stapfte in seinen Holzpantinen über den Hof davon, zum Nach- bgrgrundstück hinüber.
Eine Weile später sah die Bäuerin vorn Küchenfenster aus ihn zurückkommen, Sie rief ihm eine Frage zu, aber er hörte nicht hin. Die Büchse brachte er gar nicht erst ins Haus, er verschwand gleich in der Scheune, Ach ja, eins Arbeit drängte immer die andere. Die Saatkar- toffeln mussten ausgekühlt werden. Hinter dem grünen Weidestück wartete der frischumbrochene Acker mit schwarzen Schollen, die in der Frühlingssonne glänzten.
Nach dem frühen Abendbrot, als die Bäuerin mit Gcschirrabwaschen beschäftigt war, begab sich der Bauer Wellbrock noch einmal zum Nachbarn Fredrichsen hinüber, Er benutzte jedoch nicht d«n Eingang an der Straste, sondern schwang sich über die niedrige Gartenhecke, die an seine Weide grenzte, Spähend pirschte er durch dqs wuchernde Buschwerk, das den Hinteren Teil des Fredr'lchsenschen Parks in eine Wildnis verwandelte, Ein paarmal glaubte er in der hereinbrechenden Dämmerung einen hellen Fleck wahrzunehmen, der wohl das weine Fell einer Katze hätte sein können, aber es war zu seinem Aerger jedesmal eine Täuschung,
Im Gemüsegarten, an der Stelle, wo die grasten, säuberlich ausgesetzten Komposthaufen wie Grabhügel dalagen, entfuhr seinen Lippen eine Verwünschung, genau wie am Nachmittag, als hier die Katze nach seinem Schutz, anstatt alle Viere von sich zu strecken, lautlos mit einem unwahrscheinlichen Satz über die Tannenhecke entsprungen war,
Ein kläglicher Schutz kür einen, der schon mal den Königsvogel von der Stange geholt hatte! — Wie
stand er nun da vor den Augen der Frau, die ihn so ängstlich gebeten hatte: „Sie treffen sie doch gut!" Und das Zittern ihrer Stimme war ihm wieder im Ohr: „Wie hängen ja so sehr an dem Tier.,,"
Dieses verdammte Biest von einer Katze. Da musste er nun, der Bauer Wellbrock, wie ein Verbrecher durch einen fremden Karten schleichen in der ganz und gar unsinnigen Hoffnung, das Tier trotz der sprichwörtlichen Zähigkeit seiner Ratze irgendwo verendet zu finden. Als das helle Landhaus durch die noch kahlen Zweige der Bäume schimmerte, überlief es ihm heitz und kalt vor Unbehagen. Wenn nun die Katze! angeschossen wie sie war, inzwischen ins Hgns zurückgelaufen wäre.
Vorsichtig schob er sich über die Obstwiese an das Hans heran, dessen Fenster im Erdgeschoh hinter bunten Vorhängen erleuchtet waren. Es war unmöglich, lstn- durchzuäugen. Nur die Küchenfenster waren unverhängt, ein Oberlicht stand offen, und da sah Wellbrock drinnen in der Küche auf den Fliesen Frau Fredrichsen hocken, Sie streichelte eine schöne, weitze, schwär,zgefleckte Katze, ihre schon totgeglaubte und soeben wie ein Gespenst aus dem Nichts wieder zurückgekehrte Katze, und der Mann hörte sie mit tränenerstickender Stimme murmeln: „Nein, das ist zu schrecklich! Es ist schrecklich!", während sich schluchzend ihre Kinder an ihre Seite drängten, die beiden, kleinen Mädchen und mit runden, entsetzten Uugen auf den Kops der Katze starrten, der verschwollen und blntverkrnstet wpr. Und als dieset so schlimm geschundene Kops nun versuchte, sich wie tonst mit schnurrender Zärtlichkeit an der streichelnden Hand der Herrin zu reiben, da gab es erst recht ein lautes Jammern: „Arme, kleine Ninni, wqs bat man mit dir gemacht!"
Der heimliche Zuschauer draußen zog den Kopf zwischen die Schultern und machte sich geräuschlos davon. Himmelherrgott, es war doch schließlich nur eine Katze. Es geschahen gqnz andere Dinge auf der Welt, Aber er hatte einen faden Geschmack im Mund und verspürte ein dringendes Bedürfnis nach einem Schnaps. Sonst ging er nur sonntags gelegentlich einen trinken, und seine Frau wunderte sich denn auch: Mitten in der Woche war er in der Kneipe gewesen? — Er knurrte jedoch ein unfreundliche Antwort, so dgtz sie sich beleidigt im Bett auf die andere Seite drehte,
Von der Katze hatte er kein Sterbenswort gesagt.
„Ja, es tut mir wirklich leid, Frag Fredrichsen," florierte er, die Mütze verlegen wie ein Schuljunge zwischen den schweren Arbeitsfönsten drehend, „Ich verstehe gar nicht, wieso es nur ein Prellschuß war —"
„Ach. Wellbrock, ich fürchtete es ja." Die sanften Au- aen sahen ihn schmerzlich, doch ohne Vorwnrf an, „Es ist wohl nicht so einfach mit Katzen, Aber Ninni darf sich nun nicht länger mehr quälen, darum schickte ich nach Ihnen." Ihr Blick wurde ganz dunkel, „Das arme Geschöpf! Sie ist mir vorhin fgst erstickt, als ich sie füttern wollte, Sie kann ja nichts schlucken mit ihrem verschwol- lenen Schlnnd,"
Medizin und Aberglauben / wlckwAmL..,
Ein reiste Max Ey ich im wilden Afrika, Die Eingeborenen halten jeden Weißen für einen mehr oder weniger großen Medizinmann-— Eyth stieß auf ein Einge- Larnendorf, wo er Rast machte. Da zufällig ein amerikanischer Missionar dort weilte, nahm er dessen Gastfreundschaft an. Ein Eingeborener litt an heftiger Kolik und kam hilfesuchend zu dem Missionar. Dieser braute ihm ein Mittel zürecht und gab dem Schwarzen reichlich komplizierte Anweisung dazu, Eyth war empört über diese Umständlichkeit, denn seiner Meinung nach wäre schnelle Hilfe am Platz gewesen.
Der amerikanische Missionar lächelte jedoch weise und erklärte: „Mein Lieber, nehmen Sie einen guten Rat an von einem, der die Welt und ihre Tücken kennt. Ich will Ihnen erklären, warum ich so umständlich handle. Ich weiß wohl, daß der Schwarze das Mittel sofort hinunterschlucken kann, aber was wäre der Nutzen? Der Neger würde einfach nicht an die Medizin glauben, denn ein so einfaches Mittel kann seiner Meinung nach keine große Wirkung haben. Er ist der Auffassung, daß die Medizin ein Zäubsrmittel sei und die heilende Wirkung auf diesem Zauber beruhe. Deshalb müssen Sie ihm z, V, erklären: Dieses Mittel ist ein Geheimmittsl, das meine Urpäter schon seit Tausenden van Jahren erprobt haben; du mußt es in
ein großes Blatt wickeln, dann mußt du dieses Blatt vergraben und genau sechsmal um dßii Ort herumgehen, das Blatt wieder ausgraste», wobei du aber genau zwqnzigmal das Wort Abrakadabra vor dich hinsagst. Hast d» das Blatt wieder jn der Hand, strecke den Arm vor dich hin u»d zähle bis füll, dann verneige dich zehnmal nach dey vier Himmelsrichtungen. Nun schlucke dse Medizin hinunter. Sie wird dir helfen, genau am Nächsten Tag. wenn die Sonnt ihren höchsten Stand er/e>cht,"
Eyth hatte mit wachsendem Erstaunen zugehört, bahn fragte er: „Aber wqs soll der Unfug?" — Lächelnd erwiderte der Missionär. „Sse erreichen damit, daß der Schwarze Sse bewundert, denn er ist erfreut, daß Sie seine Krankheit so wichtig nehmen, außerdem bewundert er Sie als große» Arzt, Senn wie sollten Sie sich sonst all die erforderlichen Zeremonien merken, die zu der Medizin gehören: er wird also immer wieder zu Ihnen kommen, wen» ihm etwas fehlt, und so können Sie ihm wirklich helfen. Dann hat dieses Verfahren noch einen großen Borzug: hilft das Mittel wirklich einmal nicht, wird Ihr Ansehen auf keinen Fall gefährdet werden, Sie brauchen den Mann nur scharf anzusehen, und sofort wird sein schlechtes Gewissen mach werde», Entweder hat er nicht lange genug gezählt, oder er ist nur fünfmal um das eingegrqbene Blatt herumgewanpert usw, Er wird sich dann lügen, ddß natürlich die Medizin so nicht wirken konnte, und Sie bleiben der arosie Medizinmann," ^ So qqpz glaubte Eyth dem Missionar picht Erst als er selbst einmal einem Schwarzen eipe Chinin- tablette so ohne weiteres aab und dieser sie verächtlich fortwarf, bat er dem Missionar alles ab, was ex sich bei dieser Erzählung gedacht hatte: er hatte eingesehen, daß dem Aberglauben der Schwarzen Rechnung getragen werden mußte, ' ly F,
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Auf dem langen Korridor des Gerichts,'der vor den Zimmern hinlief, standen die Bänke für die wartenden Zeugen, Neben Bilmar Fabrizius saß feine Nichte, Angelika Hegel, Setzt legte sie dankbar ihre Hand aus den Arm des Onkels, Sie empfand die Gelassenheit, mit der er allen Dingen gegenübertrfft, wie einen großen Trost, denn sie litt noch unter dem schrecklichen Ausdruck) der Verzweiflung, dem sich ihre Mutter hingegeben hatte, ohne daran zu denken, daß jedes ihrer Worte wie ein Messer verwunden mußte, Fabrizips saß aufrecht auf seinem Platz, Die Umgebung, die Spannung, die Angelika erfüllte, schien für ihn nichts zu bedeuten, „Es scheint unsere Bestimmung zu sein, von Stürmen aller Art erschüttert zu werden. Das Haus Fabrizsus ist leider schon ein wenig wrack geworden, Ich fürchte, es wird nicht lange mehr dem Schicksal Widerstand leisten können-"
„Ich hin so unglücklich, Onkel Bilmar. Warum habe ich Alexander nur erzählt, daß ich Fräulein Stephanus gesehen habe?"
„Es kann keine Rede davon sein, daß du dir Vorwürfe machen mußt, Angelika. Wahrscheinlich hat alles so kommen müssen,"
„Fräulejn Angelika Hegel!" rief ei» Beymter. „Der Herr Untersuchungsrichter läßt bitten!"
Hesjig war Bilmar aufgesprungen. Einen Augenblick war es, als wollte er den Panzer der Unnahbarkeit abwerfen, „Wieso meine Nichte? Ich sollte doch . . ."
„Der Herr Untersuchungsrichter hat es so angeordnet,"
Angelika spürte, wie Fabrizius" heiße Hand die ihre drückte, dann ging sie zögernd die wenige» Schritte bis zpr Tür, die der Beamte offen hielt, Doktor Frahm stand sofort auf, als sie hereinkam. Er schritt auf sie zu, „Ich bedauere, Fräulein Hegel, daß ich Sie an diesem Tage sprechen muß. Aber die Gerechtigkeit darf keine Rücksichten kennen. Bitte, setzen Sie sich," Er schob ihr einen Stuhl vor seinen Tisch, „Herr Staatsanwalt Hohmann hat mir berichtet, dqß Sie die Verlobung gestern gelüst haben oder lösen wollten. Das ist natürlich eine Aussage, die ich nicht übergehen darf. Wollen Sse mir, bitte, die Gründe angeben,"
Wie hilfesuchend sah sich Angelika im Zimmer um, Sie sollte also von den verborgenen Regungen ihres
Herzens sprechen? Sie sollte hier, wo ein Schreiber jedes ihrer Worte aufzuschreiben bereit war, von ihren persönlichsten Dingen sprechen, von der Bedrückung, die sie in letzter Zeit empfunden hatte, von ihrer heimlichen Sehnsucht? Frflhm war viel zu feinfühlend, um nicht die ganze Schwere zu erfassen, die dieses Verhör für das junge, und wie es ihm-schien, äußerst empfindsame Mädchen bedeutete, „Fräulein Hegel, ich muß volle Offenheit von Ihnen verlangen. Wie wir alle, werden auch Sie von dem Wunsch beseelt sein, daß dieses Verbrechen bestraft wird. Wir müssen den Täter finden. Bitte, nur daran müssen Sie denken, wenn ich jetzt mit Ihnen spreche. Sse müßen triftige Gründe gehabt haben, die Verlobung zu löse». Ist es vielleicht so, daß es Ihnen ZU Ohre» gekommen ist, Ihr Verlobter besitze Nicht die Charaktereigenschaften, die Sie von Ihrem künftigen Mann verlangten?"
Verständnislos sah sie ihn an, „Alexander sollte nicht die Charaktereigenschaften gehabt haben? O nein! Ich — ich bin allein schuld. Ich habe ihm erzählt, daß ich Fräulein Stephanus gesehen habe. Da ist er hingegangen, um meinem Onkel alle Schwierigkeiten zu ersparen, lind dabei ist er . . Sie schluckte heftig und zwang sich, nicht zu weinen,
„Warum wollten Sie denn die Verlobung lösen?"
„Ich — er war mir fremd geworden . . . Vielleicht eine Laune . . , Eine Erinnerung ..."
Die Stimme Frahips wurde sachlich, „Das sind doch keine Gründe, Fräulein Hegel, Ich kau» es Ihnen nicht ersparen. Wollten Sie die'Verlobung lösen, weil Sie von Herrip'Förslners Beziehungen zu' der Sängerin Stephanus erfahren haben?" Er bereute ipt gleichen Augenblick diesen Satz, denn Angelika Hegel war totenblaß geworden,
„Beziehungen zu der Ssephamis? Er sagte mir dpch, er habe sie kaum gekannt!"
Fralim stund auf und ging auf sie zu, „Sie müssen Mir djese Offenheit verzeihen. Aber nur Offenheit kann UNS weiterbringen. Was ich Ihnen jetzt mitteile, würden Sie in Kürze sm Prozeß oder noch vorher durch die Zeitungen ohnehin erfahren. Es bestanden seit Jahren nähere Beziehungen zwischen Herrn Förstner und Fräulein Stephanus,"
- - Mann blickte schuldbewußt zu Böden.
„Ich helfe Ihnen diesmal, Wellbrock, Es muß ja sein! Machen Sie Ihre Büchse fertig. Ich locke Ninni arischem Haus,"
Wellbrock gehorchte, aber dieser robuste Mensch, der sich nichts daraus machte, eine gellend quiekende Sau abzustechen, er mußte wahrhaftig ein Zittern in seinem Handgelenk überwinden, als er' sein Opfer aus weichen Katzenpsoten hinter der Herrin aus der Haustür kommen !Nh,
„Jetzt!" sagte Frau Fredrichsen mit rauher Kehle und legte das Stückchen Fisch, mit dem sie ihren Liebling hinter sich hergelockt hatte, auf das Steinpflaster nieder. Sie trat beiseite, während die Katze ahnungslos gierig den Fisch beschnupperte.
Der Schuß klang so blechern und mißglückt, daß die Frau ihre Augen kaum zu äsfnen wagte. Aber dann hörten sie den Schützen fragen — und es schwang ordentlich Erleichterung in seiner Stimme: — „Wo soll ich sie eingraben, Frau Fredrichsen?" — „Anter den, Birken drüben," flüsterte sie, „Einen Spaten finden,Sie im Schuppen," Mit abgewandtem Gesicht zog sie sich ins Hans zurück.
Die kleine Kuhle auezuheben und über der toten Katze die Erde festzustampfen, das war für Wellbrock das Werk weniger Minuten, «ine Kleinigkeit, Aber er wischte sich, als er mit allem fertig war, mit dem Arm über die Stirn. Dann holte er die Pfeife aus der Tasche, stopfte sie und setzte sie in Brand, Es schien ihm, als hätte er sie verdient wie nach einer schweren Arbeitsleistung,
Der Knalleffekt
In einem Pariser Theater war vor dem Kriege meist Ebbe in der Kasse und die Schauspieler bedrängten das Büro. Der Kassierer bedeutete den Künstlern mit der entsprechenden Miene: „Noch immer nichts heute. Kommen Sie morgen, vielleicht ist dann etwas da!"
Ewig auf morgen und übermorgen und zu den jüngsten Tag verwiesen, sagte der ausgezeichnete Bouyer, eines Tages zu dem Kassierer:
„Ich möchte den Rendante,i sprechen,"
.Leider ist er nicht anwesend,"
."Dann sagen Sie Mr, Duguesnel, daß ich ihn sprechen möchte,"
„Der Herr Direktor ist gleichfalls abwesend,"
Am darauffolgenden Tag dasselbe Verlangen und dieselbe Antwort-
Da kam Bouyer eine Idee, Er suchte aus den Requisiten einen alten Schießprügel heraus, lud ihn mit einer Platzpatrone und schoß sie in dem Gang vor den Büros der Herren »b,
Alsbald reckten die geäfften Herren den Hals aus ihren Türen heraus, links der Rendant, rechts der Direktor.
Ich hin erfreut, Sie zu sehen!" sagte der Komiker lächelnd, „Man sagte mir, daß Sie nicht anwesend wären, aber ich behauptete das Gegenteil."
Sp.
Wiedersehen mit Älkibiades /An- «°°>,-nb«jch
Ein wenig gelangweilt schlenderte Peter Nickel durch die fremde Stadt. Bis zur Abfahrt feines Zuges war es noch fast eine Stunde, und er hatte keineswegs den Eindruck, daß es in dieser Stadt etwas Anregendes zu sehen oder zu erleben gab.
Peter Nickel blickte in die Schaufenster und fand auch dort nichts Interessantes außer seinem eigenen Gesicht, das ihm selbstbewußt lächelnd aus einer Spiegelscheibe entgegensah. Prüfend fuhr seine gepflegte Rechte über das Kinn. Schon wieder bedeckte der häßliche schwarz« Schimmer seine Wangen, Man mußte etwas für sein Aeußeres tun. Außerdem war es zweifellos bequemer, in einem wohlgepolsterten Stuhl zu sitzen, als ziellos durch die Straßen zu bummeln.
Kurzentschlossen betrat er den Laden, über dessen Tür ein Messingschild blinkte, nickte, dem eifrig herbeistürzen- den jungen Mgnn gönnerhaft zu und verzank in einem aufseufzenden Sitzmöbes. „Rasieren!" sagte er in vornehmer Kürze, ^ ,
Obgleich Peter Nickel durchaus Zeit hatte, land er es erfreulich, nicht warten zu müssen. Während der geichaf- tsge Pinsel des jungen Mannes Beters Wange» mtt flockigem Schaum bedeckse, betrachtete er sich im Spiegel. Wie so ein bißchen Seifenschaum den Gestchtsgusdxuck eines Menschen verändern konnte! Schon war sein Gesicht fast völlig unter der duftigen, sahnigen Masse verschwunden. Dann rief hex junge Mann: „Herr Birn- Hache? . .
In diesem Augenblick zuckte Peter Nickel unangenehm berührt zusammen. Er hätte nicht zu sagen gewußt, warum, a^bpt eiq llnbehagen kroch an ihm empor, das sich nj-cht abschütteln ließ. Neben ihm ging ein leizer Schritt, ejn weißer Kittel streifte ihn,. Dann fuhr ein Rasiermesser zischend auf den Lederriemen hin und her, ynd dann neigte sich ein ausdrucksvolles lächelndes Gesicht über ih», „Darf ich bitten?"
Beim Klang dieser Stimme fiel lahmendes Entsetzen über Nickel her. Bestürzt starrte er auf den hageren Mann, der spielerisch sein blankes Messer schwenkte. Noch lächelte der Mann, ein kühles, hinterhältiges Lächeln, aber Nickel war es, als ob sich eine kalte, dürre Hand um seine Kehle legte. Mit weit aufgerissenen Auge» blickt« er in das Gesicht des Mannes mit dem Messet, der seinerseits verwundert Stirn und^Nase des Künsten betrachtete. Dieses dünne, rotblonde Haar, dieser verkniffene Mund, die zwinkernden, verschmitzten Augen - kein Zweifel, es war Birnbacher. Alois Birnbacher, mit dem «r vor vielen Jahren die Schulbank gedrückt, den sie Alki'-biades genannt hatten, weil er immer io hoch hinaus gewollt hatte und man ihm eine ausgesprochene Neigung , zum Grtzßenwgßn nachsagte. Mit einem Schlage wurde in Peter Nickel die Erinnerung an das Geschehene unheimlich lebendig.
Ja, so war das gewesen: Wegen eines üblen Streiches batte Alois Birnbacher die Schul« verlassen müssen, und er — Peter — sollte ihn beim Klassenlehrer verraten habe». Der Verdacht war nicht so ganz unbegründet gewesen, aber niemand hatte es beweisen können. Immerhin hatte er es vorgezogen, sich nur in Begleitung seines älteren, bärenstarken Bruders auf der Straße sehen zu lasst», nizd nur dadurch war er den Prügeln des rachsüchtig ips Hinterhalt lauernden Birnbacher entgangen. Bis endlich'mit dem Wegzugs der Familie Birnbacher Gras über die leidige Geschichte gewachsen war.
Und diesem Mann, der ein haarscharf geschliffenes Messer in der Hand hielt, hatte ihn ein boshafter Zufall wehrlos ausgeliefert. Ihm wstrde Birnbacher es zuschreiben, daß er, der sich zu Höherem berufen fühlte, das Gewerbe seines Vaters hatte ergreifen müssen. Noch hatte er ihn wohl nicht erkannt, aber Peter Nickel verhehlte sich nicht, daß die Gefahr größer und größer wurde, je mehr das schabende Messer sein Gesicht entblößte.
Nun fuhr es über sein« Kehle und glatt rmendlich langsam über Nickels vorspringenden Adamsapfel. Peter Nicket unterdrückte eine» Schrei, der sich ihm entringen wollte. Nur sich nicht verraten! Vielleicht würde der andere ihn gar nicht erkennn, wenn er sei» Gesicht verzerrte. Es waren ja inzwischen viele Jahre vergangen,
„Schneidet das Messer nicht gut?" fragte Birnbacher erregend sachlich. .
„Danke, gut . . ." stieß Nickel mühsam mit verstellter, tiefer Stimmt hervor, ' , ^ ,
„Will ich meinen! Meine Messer sind stets haarscharf, Aper sie sind sehr nervös, mein Herr, Sie sollten das Gesicht nicht so verziehen. Wie leicht könnte ich Ihnen einen Schnitt beibringen. Durch Ihre eigene Schuld, Nicht wahr? Erst neulich hörte ich von einem Fall, wo einem Friseur das Messer ausrutschte, weil den Kunden der Knall eines platzenden Autoreifens, erschreckt hatte. War eiy glatter Freisprach für den Friseur,"
Auf Nickels Stirn perlte kalter Schweiß, Diesem unheimlichen Menschen war alles zuzutrauen, wenn er seinen Todfeind von «inst erkannte. Schon war seine linke Wynge sauber rasiert, und eben sollte die rechte an die Resbe kommen, da stutzte Birnbacher und hielt imie. Forschend blickte er in Nickels zuckendes Gesicht und leine kalten, tückischen Augen weitete ein grenzenloses Erstaunen,
„Ah, ich beginne zu verstehen!" sagte er grinsend, „Dex Herr wünschen unerkannt zu bleiben. Aber jetzt, da Sie der Zufall in mein Geschäft geführt hat, werde ich nicht locker lassen!"
Peter, Nickel wollte die Hand mit dem Messer, die sich wieder seinem Gesicht genähert, hatte, zurückstoßen; um anfmspringen und davonzulaufen. Aber er blieb wie gelähmt sitzen, denn schon wieder glitt die scharfe Klinge über sein« Hupt, Nickel glaubte zu bemerken, wie äi« Hand des Barbiers vor Erreaung zitterte. Jeden Augenblick konnte dieser furchtbare Mensch mit-einem schnellen Schnitt das grausige Werk seiner Rache vollziehen. Peter Nickel wär einer Ohnmacht nahe. Erst als ihm eine duftende Flüssigkeit ins Gesicht gespritzt wunde Und ein weiches T»ch über sein Kinn fuhr, kam er wieder zu sich, „So!" sägte Birnbacher mit vieldeutigem Lächeln, „jetzt wird man Ihnen den aalglatten Schurken wjedex glauben!"
Nickel wurde blutrot warf eine Münze auf den Ladentisch.und wollte hinausstürzen, aber Birnbacher vertrat ihm mit einem Blick voll finsterer Entschlossenheit den Weg, „Ich muß Sie um eine Unterredung unter vier Augen bitten!" sagte er. Willenlos folgte Njckel dem Barbier in einen Nebenraum, „Ich habe Sie sofort erkannt!" flüsterte Birnbacher heiser, „Sie sind Fred Lauser, der Intrigant unteres Stadt-theaters, dessen unvergleichlicher Kars Moor ... Ich habe erfahren, daß die Stelle eines Theyterfrispurs demnächst frei wird. Könne» Sie sich da njcht ein bißchen für mich verwenden ., , .?!"
„Das habe ich nicht gewußt", flüsterte sie. Ihr Gesicht war ernst.
Frahm mußte, daß sie nicht log. Und doch verschwieg sie etwas. Warum hat sie die Verlobung gelöst? Sie ist doch kein Mensch, der einfach einer Laune folgt. Langsam kehrte er zu seinem Stuhl zurück, „Wer ist eigentlich Claus Harms?" fragte er schnell, -
Angelika zuckte zusammen. Konnstp dieser Mann ihre Gedanke» lese»? Sie hatte an Claus gedacht. Mit einem Seufzer der Befreiung war ihr klargeworden, daß sie keine Schuld an Ftzrstners Tod hatte. Darum hatte er sich an dem Abend, als man ihren Geburtstag feierte, so schnell verabschiedet! Scham stieg in ihr auf, weil sie ihn geliebt hatte!
„Claus Harms ist mein Jugendfreund,. Ich traf ihn auf der Fahrt nach der Insel wieder,"
„Wann haben Sie zuletzt mit ihm gesprochen?"
„Ich traf ihn gestern in der Stadt, Zufällig! Ich machte mit meiner Mutter Einkäufe, Wir waren da»» zusammen in einer Konditorei,"
^U»d machte Herr Harms irgendwelche Andeutungen, daß er etwas gegen Herrn Förstner unternehmen wolle, weck er Sie liebe?" Frahm war es peinlich, dem jungen Mädchen gegenüber solche Dinge zu berühren. Er bemerkte, wie alles Blut in ihr Gesicht strömte. Sie atmete hastig.
Er fühlte daß sie aufspringen und einfach hinauslaufen wollse. Und daß nur Ueberlegung sie hinderte, den Wunsch auszuführen,
„Kein Woxt" — flüsterte sie — „kein Wort hat er davpn gesagt. Wie sollte er wohl? Warum fragen Sie nach Claus Harms? Ich bitte Sie, was hat das alles mit Claus Harms zu tun?"
„Herr Harms ist am gestrigen Abend nicht bei Ihnen gewesen? Hat er vielleicht Ihr«, Onkel aufgesucht und mit ihm eine Aussprache gehabr? Sagen Sie die volle Wahrheit!" ' .
Die Beherrschung um die sie bis jetzt mit aller Kraft qekämpft batte, verließ sie, „Ich will nicht üb r so etwas gefragt werden. Wie können Sie sich in Dings einmischen, die nicht einmal mir klar sind!"
„Weis Herr Harms verdächtig ist, Herrn Förstner erschossen zu haben. Weil er gegen 0 Uhr mit ihm einen Ssreit hatte. Weil er ihn bedrohte. Darum muß ich Sie fragen, Fräulein Hegest" ,
„Das ist unmöglich! Me kann man so etwas von Elans denkenEine ungeheure Angst stand in ihren Apge», Unt»r dem Eindruck all dieser Geschehnisse verlor sie dx» Boden unter den Füßen, Die Züge des Untersuchungsrichters schienen ihr unerbittlich 'zu sein. Mit rasender Schnelligkeit stieß eine dunkle Wolke vo» wild durcheinander wogenden Äengstcn auf sie zu.
Die Zukunft liegt in der Hand derer, die strenger dienen und die van sich mehr fordern, qlo andere von ihnen fordern dürften, iy der Hand derer, die das Neue, das werden ^osl, als Befehl, Liebe, Notwendigkeit und Bild der Freiheit in sich trage» vnd darum den Weg für sich selber in Zucht und Härte schreiten.
Oavrg SMwmIer
zwischen Herrn Harms und Herrn Förstner - Verlobung ging,"
So jsih die Angst Angelika überfallen hatte, so sä wich sie, Claus sollte so etwas getan haben? Niemall „Sie können so etwas nur denken, weil Sie ih nicht kennen," Ihr ganzer Glaube an den Menschei den sie liebte, leuchtete pus ihren Augen,
Frqhm ging zu der Seitcntllr. Er sprach ein pao Worte mit dem Beamten, der vor der Tür wartet „Gedylden Sie sich einen Augenblick, Fräulein Hegel, Angelika antwortete nicht. Wie gebannt starrte sie um der Tür und wartete. Spflte jetzt die Stephanus kon wen, und würde sie es wagen, Klaus zu beschuldigen?
Die Tür öffnete sich Claus Harms trat ein. Sei Blick traf Angelika, und sein erster Gedanke war, ar sie zuzugehen und sie zu umfassen, „Amselchen!" rief ei At ganzes Herz lag in der rührenden Haltung ihre Kprpers, der ihm entgegcnstrebte, „Claus - Claus! Die wenigen Sekunden des Wiedersehens weckten Lj Hoffnung, daß alles guj werden müsse.
„Herr Harms' Fräulein Heges will mir nicht sagen ße die Verlobung mit Herrn Förstner qesteri nachmittag gelost hat,"
Aus einem Winkel seiner Seele stieg ein glückselige Lachen in Elans auf. Er versuchte zu antworten, ab« er tonnte es nicht, Seine Gefühle wirbelten durcheil) Z dlmst'lchen hatte ihre Verlobung gelöst! Alles gestern nachmittag zu ihm qesprochei i m Hauch eines Lächelns huW
I, -rn Gesicht: „Ich will es Ihnen sagen, Herr Dok die Verlobung gelöst - weil ich Llau- Harms miedergest'hen habe,"
Doktor Frabm hatte ei» Unwirklichkeit. E r vergaß f»r «emnven das nüchterne Amtszimmer, Er schickte einen Hohmann hinüber, und beide vergaßen sekuii- denlang ihr,. Auffalle, Fräulein Hegst, warten Sie null,,', ^ brauche Sie vielleicht noch einmal ,
li^> „ ^rahm den Faden wieder auf. Dann wandte er
abend'qewesin sK ß° -^ern
Fortsctzung folgt.