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Die Liebe zur Natur blieb vorherrschend in seinen Dichtungen und trägt bei allem schmerzlichen Ernst zuweilen einen kindlichen, naiven Zug, in dem sich die Eigenthümlichkeit des österreichischen Gemüthscharakters verräth. Lebhaft mußten ihm die Naturbilder, die seine erste Jugend umstanden, vor die Seele treten und in seinen „Schilsliedern", in seinen „Haidebildern" sind farbenreiche Landschaften durchklungen von den Zigeunergeigen, den „Grabsirenen", die das Herz in das Verlangen nach einem süßen, berauschenden Tod ziehen. Lenau liebte die Natur, nicht um der lieblichen Reize, um des idyllischen Friedens willen, der ihr zur Zeit der Matthisson und Hölty so viele poetische Huldigungen zuwandte i Lenau liebte die Natur wie eine Mutter, in deren unergründlich ernsten Zügen er den Geheimnissen seines Werdens und Wesens nachwühlte, die Natur wurde ihm zum Gegenstand der Forschung, nicht der materiellen, wissenschaftlichen, sondern der außerirdischen nach dem Geist oder den Geistern, die in ihr verborgen, und die, menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar und nur von den feinst- benervten Seelen geahnt, ihm nach einer Verkörperung, nach einer Gestaltung zu ringen schienen, die er ihnen durch sein Dichterwort zu geben bemüht war. So kommt es, daß Lenau trotz seiner überquellenden Lyrik in seinen Naturbildern epische Plastik erreicht; er ist ein Landschaftsmaler wie kein zweiter und gibt nicht blos das treue, todte Daguerreotyp des Darzustellenden, sondern läßt alle engelhaften oder dämonischen Stimmen, die beim Anblick großer Naturstriche leise das Herz durchtönen, laut und vernehmbar werden. Welche bezaubernde Melancholie durchbrauset seine Herbstlieder! Man hört die Blätter fallen im melodischen Takt; die Bäume ringen im Schmerz ihre nackten Aeste; aus dem Weltkern dringt die erschütternde Klage um das Erdenleben, das nichts ist als ein tägliches Sterben, und von süßer Todesmüdigkeit umschlosseil sieht der Mensch alles Herrliche entführt in ein Fremdes, wohin seine Erkenntniß nicht reicht, in's Vergessen. Welcher überschäumende Jnbel in seinen Frühlingöliedern! Wenn die Nachtigallen reden könnten, sie würden Lenau's Lieder sprechen. Aber auch hier wird sein seligstes Frühlingsjauchzen von lang gezogenen Schmerzenötönen zerrissen, wenn er des Menschen Schicksal und Gemüth der paradiesischen Verjüngung der Natur nicht unterworfen, sich selbst „vom Frühling ausgeschlossen" sieht. Wer hat wie er die Räthsel und Geheimnisse des Meeres erlauscht und verstanden? Mag er nun den Seejungfrauen zufehen, wie sie den Neigen üben „schweigend in den ewig trüben Meeresdämmerungen", oder in der grauen-
Sy-i-