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Die Ursachen des ägyptisch-abessinischen Krieges.
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von gänzlichem Verfall und Untergang retten könne. Seine inneren wachsenden Verlegenheiten in der Bekämpfung der Rebellen verhinderten ihn an der Er­füllung seiner Lebensaufgabe zu arbeiten. Nach Theodor's Fall vereinigte einer seiner Feldherrn Kassa, der jetzige König Johannes, nach Besiegung seiner Widersacher Amhara und Tigre zu einem Reich, während das südliche Schoa unter dem König Menilek selbständig blieb. Fast gleichzeitig mit dem Falle Theodor's begannen auch die Bestrebungen Aegyptens auf Ausdehnung seiner Macht am Rothen Meere eine ungeahnte Energie zu entfalten, und als Krönung dieser Bestrebungen scheint die endliche Eroberung Abesstniens ins Auge gefaßt zu sein. Die nördlich von Tigre gelegenen Landschaften, die durch Tributzahlung bald an die eine, bald an die andere Partei sich eine zweifelhafte Unabhängigkeit erkauften, wurden strammer mit der Provinz Kassala vereinigt, die Fehden der Stämme unterdrückt und durch Vertheilung von kleinen Militärdetachements, jeder Versuch von der Seite von Tigre, das alte Verhältniß herzustellen, unmöglich gemacht, hauptsächlich ist es der zu früh gefallene Werner Munzinger, der als ägyptischer Gouverneur der Länder am Rothen Meere, durch gründliche Länderkenntniß unterstützt, diese Veränderung bewirkte und sein ganzes Gouvernement in einen nie für möglich gehaltenen Zustand von Frieden, Ruhe und Ordnung versetzte. Die auf diese Art besetzten Länder sind: Kunama, Barka, Barea, Beni-Amer, Marea, Habab, alles Länder, auf welche die Abessinier ungefähr so viel ver­brieftes Recht haben, wie die Aegypter, d. h. gar keins. Anders verhält es sich mit den Landschaften Bogos, Mensa, Bet-Takne und Bedsehuk; dieselben gehörten wenigstens nominell zu Tigre, und Aegypten kann zur Begründung der Besetzung nur geltend machen, daß ihm die genannten Länder nöthig seien, um eine ungehinderte Verbindung zwischen Massawa und Kassala herzustellen. Die Abessinier haben natürlich diese Eingriffe (nach ihrer An­sicht) nicht mit Zufriedenheit oder Billigung gesehen, aber doch auch eigentlich sich nicht dagegen gewehrt; denn die Einfälle in Barka und Kunama 1872 seitens der Bewohner von Tigre waren reine Raubzüge ohne irgend welche andere Absicht als den Raub von Sklaven und Vieh. Seit der Vertreibung dieser Horden bis zum August vorigen Jahres war die Ruhe ungestört. Dies ist in Kürze die Lage der Dinge vor Beginn dieses Krieges und die Ursache der bitteren Freundschaft zwischen den beiden Ländern. Da die oben erwähnten, von Aegypten weggenommenen Länder geographisch nicht zu Abesfinien gehören und ihre Bewohner, meistens Muhamedaner und Heiden auch von den Abessiniern nicht als Landsleute betrachtet werden, so hätte das Vorgehen der Ägypter, wenn es sich auf die Behauptung der genannten Länder beschränkt hätte, wohl keinen Krieg hervorgerufen. Anders wurde die Sachlage, als die Gelüste der ägyptischen Behörden auf Hamasin offen